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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 9 (1. Februarheft 1910)
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Rundschau
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0265
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Lebeude Worte

Vom Genius

^>ch kann einen Antor als voll--
Oendet empfinden, der in jungen
Iahren uns genommen worden ist;
der Meinnng sein, es sei in einem
Schuß anfgewachsen, was dieses
Erdreich aus sich erzeugen konnte,
also daß ihm nur noch eine küm-
merliche Nachlese beschieden ge-
wesen wäre. Das mindert meine
Lrauer an manchem frühen Grabe,
so an Bhrons und Shelleys. Wie-
der andere empfinde ich in hohem
Alter als unvollendet, als fähig
jeder Äberraschung. Gewiß sind
weite Strecken des zweiten Faust
vergletschert, aus dem Gedanken
heraus gesponnen und voll unbe-
wußter Priesterlichkeit, statt der
Sprüche und Worte voll beklem-
mender Weisheit, die uns sonst bei
Goethe anwehen. Wenn aber ganz
zum Schluß noch jene grandiose
Lohe von Fausts Tod und Ver-
klärung sich dem Eise entringen
und vom Höllenschlund durch die
Welt zu den seligen Gefilden auf-
züngeln kann, alsdann, im Tief-
sten angeglüht, erkenn ich, wie un-
gebändigt das Eigenfeuer dieser
übermächtigen Natur immer noch
gewesen sein muß, wie unzuläng-
lich Begriffe, andern gegenüber ge°

wonnen und gültig, vor diesem
Einzigen sind.

I. I. David („Vom Schaffen")
lZ

as ist aber das Auszeichnende
des Genius vor dem bloßen
Lalente: bei diesem bedeutet jeder
einzelne Fehler etwas, was den
Wert des ganzen Werkes mindert,
eine Einbuße, die den Gesamtein-
druck wesentlich schmälert. An-
ders beim Genie: da ist jedc Voll-
kommcnheit, jeder geniale Zug für
sich etwas, was man mit einer
nnendlichen Größe vergleichen
könnte, von der man bekanntlich
endliche Größen abziehen kann, so
viele man will, ohne daß es im
ganzen weniger würde. Die Män-
gel des Genies sind etwas, was
zwar den Zugang zum Genuß
seiner Vorzüge erschweren, ja für
einen oder den andern auch wohl
ganz verhindern kann. Aber wenn
dieser Zugang einmal gefunden,
wenn wir erst so weit sind, daß
die Größe des Genies überhaupt
auf uns einwirkt, so erleben wir
einen Eindruck, der so weit über
alles endliche Maß hinausgeht, daß
ihm kein Subtrahent irgend etwas
anhaben kann.

R. Louis („Deutsche Musik der
Gegenwart")

Unsre Bilder und Noten

^-^-^^ir haben ebenso wie von Toni Stadler auch von W. L. Lehmann
^/D^schon wiederholt Bilder gebracht und denken damit fortzufahren.

Beide Münchner Maler gehören nämlich zu denen, die in
Künstler- wie in Kennerkreisen außerordentlich großer Schätzung genießen,
während sie in Laienkreisen nicht eigentlich „berühmt" sind. Dazu sind sie
zu still, zu fein, zu ernst, zu innerlich, zu tief und viel zu wenig modisch
oder gar sensationell. Auch die heut wiedergegebene Landschaft von Leh-
mann ist vornchm abseits von allem Tagesgeschrei der „Richtungen" ent-
standen, als ein Ausfluß tiefinnigen Genießens der Natur durch das
„selige Auge", dcm in Nuhe zu schauen gegeben ist. Blaue Stunde nach

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Kunstwart XXIII, 9
 
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