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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 10 (2. Februarheft 1910)
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Spieß, Karl: Vom religiösen Volksleben
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0291
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Auch wer für seine Person aller Religion fernsteht, wird die Notwen-
digkeit zugeben können, daß sie „dem Volk erhalten bleibt«. Nicht
um es dauernd in geistiger Abhängigkeit von irgendwelchen kirchlichen
oder staatlichen Gewalten zn halten, sondern gerade im Gegenteil:
um ihm jene selbstsichere, eindrucksvolle und wirksame innere Selb-
ständigkeit und Anabhängigkeit zu stärken, die sich überall da und
auch nur da einstellt, wo sich der Mensch im letzten Grunde seines
Daseins von einer überweltlichen Macht getragen und bestimmt weiß.

Die Schwierigkeit nnd Zartheit des Problems, sowie die geringe
Kenntnis des Bodens, auf dem wir uns bewegen, macht es jetzt noch
nicht möglich, anders als in ganz allgemeinen Nmrissen und Andeu-
tungen von der Sache zu reden. Aber das genügt fürs crste auch.
Laßt uns zunächst die holde Selbsttäuschung belämpfen, als sei zwischen
der Welt volkstümlicher Frömmigkeit und der herkömmlichen Pflege
religiösen Volkslebens kein klaffender Riß! Laßt uns die ganze Grvße
der Not, die ganze Wucht der Tatsachen empfinden! Dann wird mit
jedem weiteren Schritt das Ziel immer deutlicher und fester umrissen
vor uns sichtbar werden und aus dem unsichereu Umhertasten und
Tappen wird ein zielbewußtes und zielsicheres Vorwärtsschreiten.

Karl Spicß- Bottenhorn

Lose Blätter

Aus Kranewitters „Andre Hofer"

sAls voriges Iahr dic große Feier im Lande Tirol war, da ist von dem
bcsten Hofer-Stück, das jc gcschricben, viel weniger Wesens gemacht wor-
den, als von schlechtern. Das hatte seinen gnten Grnnd: Franz Krane-
witter hatte nicht dcn Hofer gezeichnet, der gceignct war, auf Bühncn
am Schluß bcim Gesangc des „Gott erhalte" knicnd im Gebct bengalisch
beleuchtet zu wcrden, nicht dcn, den die Innsbrucker „Hofrats-Feicr"
brauchte. Möglich, daß sich Krancwitters Hofer tatsächlich nicht für Volks-
festc cignet, bei denen ja immer nicht nur Poesie, soudcrn anch cin Stück
Mhthus zu sein Pflegt. Wenn wir abcr Hofers Todcstag benntzen, um
dem Dichter die Ehre zu geben, die ihm gebührt, so habcn wir das Be--
wußtsein, damit doch auch dem Volke zu dienen. Andre Hofcr war, so
wie ihn LZckanewittcr schildert, ganz gcwiß kein schlechterer Mann, als
die beliebtc Hofer-Idealfigur zeigt.

Freilich scheint das Stück, von dein wir heute den dritten nnd cincu
Tcil dcs vierten Aufzuges bringen, ganz aus den Abschiedsworten Hofers
herauszuwachsen: „So leicht foallt mier das Sterbn, daß micr nit amoal
die Augn noaß weardn." Es stellt selbst nur den letzten Akt der großen
geschichtlichen Hofer-Tragödie dar und setzt erst dort cin, wo Hofers äußcrc
Größe und Machtentfaltung bereits vorüber ist: nach dcm Fricdens-
schlusse. Die eigentliche Entwicklung des Führers, dcr dic Leiden-
schaft eincs ganzen Volkes zum Iicle zu leitcn vermag und vom Sandwirt
zum Obcrkommandantcn von Tirol aufsteigt, liegt vor dem Drama; wir
schen nur die Nachwirkung dicser großcn Zeit in der Vcrchrung, dic dcm
Andre vou scinen Landsleuten gezollt wird. Und geradc gegcnübcr der
landläufigcn Vorstellung von Hofer, die ihn mehr als den tzclden dcr

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