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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1910)
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Landsberg, Julius F. ...: Frauenfrage und Gerechtigkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0188
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I Iahrg. 23 Erstes Februarheft 1910 Heft 9

Frauenfrage und Gerechtigkeit

>2«^ igentümliche Gegensätze in den Bestrebungen gleichgesinnter
E Volksgenossen sind unsrer Zeit beschieden. Auf der einen Seite
^^strebt man, die sogenannten Schwachen gegen die Folgen ihrer
Schwäche zu stützen. Auf der andern Seite rüttelt jeder, dem man
zu seinem Schutze etwas von Selbständigkeit versagt, an den Schranken,
die er um sich gezogen sieht. „Vormundschaft" oder „Selbstbestim-
mung«, so heißen die Losungen in den großen politischen Dingen,
im wirtschaftlichen Leben. Und der gleiche Gegensatz trennt die
Meinungen in Kirche und Familie, in Kunst- und Bildungsfragen.
Äberall.

Dieses „Gesetz" des Kontrastes erstreckt sich auch aus die Frauen-
frage. Während auf der einen Seite die Selbstbestimmung und
Gleichstellung verlangt wird als eine Forderung der Gerechtigkeit,
verlangt man auf der andern Schutz vor Ausnutzung der Schwäche.
Die Frauen, welche eine völlige Gleichstellung mit dem Manne als eine
notwendige Gerechtigkeit begehren, verkennen die Bedeutung dieses
Kontrastes. Sie irren ferner, wenn sie als Ursache der ungleichen
Behandlung von Mann und Frau im Staats- und Rechtsleben
eine ungerechte Neigung zur Bevorzugung des Mannes sehen. Den
Willen, das Weib zum Vorteile des Mannes zu unter-
jochen, hat man nicht und hatte man nicht. Die Männer, welche
jene Gesetze machten, waren Söhne von Müttern, Väter von Töch-
tern und wollten ihre Mütter und Töchter nicht benachteiligen. Sie
wollten sie so behandelt wissen, wie sie dies der Natur des Weibes
entsprechend hielten. Dabei irrten sie sich, indem sie die Natur
des Weibes verkannten. Aber ungerecht waren sie nicht. Deshalb
kann eine Änderung auch nicht namens der Gerechtigkeit ge-
fordert werden, sondern auf veränderter Grundlage der Erkenntnis
des Passenden und Zweckmäßigen.

Die Frage nach der Zweckmäßigkeit ist von mehreren Gesichts-
punkten aus zu beantworten, besonders von dem der Fraueu selbst,
und sodann von dem des Volksganzen, des Staatswohles.

Die Forderungen der Frauen nach Selbstbestimmung und Gleich-
stellung mit dem Manne richten sich in erster Linie gegen gewisse
Bestimmungen des bürgerlichen Rechts. Wenn zum Beispiel eine
Witwe zur zweiten Ehe schreitet, verliert sie die elterliche Gewalt,
während der wieder vermählte Witwer sie behält. Wenn eine Frau
mit Kindern ihren Mann überlebt, so kann ihr ein „Beistand" be-
stellt werden, der ähnlich einem Gegenvormunde ihre Tätigkeit bei
Erziehung und Vermögensverwaltung kontrolliert. Diese und zahl-
reiche andre Bestimmungen über Vormacht des Mannes bei der
Kindererziehung und bei Verwaltung des Frauengutes sind Äber-
reste der alten, ursprünglich zum Schutze der Frau bestimmten Ge°
schlechtsvormundschaft. Diese verfehlt heute gänzlich ihren Zweck.
Die Selbständigkeit der heutigen Frau, ihre Befähigung, ihre An°

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