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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 11 (1. Märzheft 1910)
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Avenarius, Ferdinand: Mißwirtschaft mit Geist
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0364
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jgahrg. 23 Erstes Märzheft lSIS Heft l I
Mißwirtschaft mit Geist

/-^v^renn ich von der großen Wirkung höre oder lese, die der
P ^Kunstwart ausübe, wird mir immer süßsäuerlich zumut. Nicht
etwa, weil ich im Herzensgrund meinte, das sei nur Gerede,
es sei nichts dran; es ist, Gott sei Dank, was dran. Iedoch im Behagen
der Selbstgefälligkeit stören die vielen Mißverständnisse und stört
die Ausnutzung von Kunstwart-Anregungen, die nur mit gründ-
licher Arbeit ordentlich ausgeführt werden könnten, durch fingerfertige
Schnellgeschäftmacherei. Ganz besonders aber lehrt mich etwas andres
Bescheidenheit. Seit bald zwanzig Iahren schreibe ich gegen die Allein-
herrschaft des Geistes, der unser Urheberrecht regiert, seit einem Iahr-
zehnt bemüh ich mich immer wieder, die Erkenntnis davon zu vcr-
breiten, daß alle Kreise der deutschen Bildung, einschließlich sogar
der Sozialdemokraten, hier auf einen kapitalistischen Leim gskrochen
sind, der nachgerade unsre ganze Kultur überschleimt. Was hier
besteht, ist so ungsheuerlich, daß es keine drei Iahre mehr leben könnte,
wenn die deutsche Bildung sich einmal gründlich damit beschäftigte.
Das tut sie aber nicht. Bei dem, was mir je länger je mehr als die
wichtigste Kunstwart-Arbeit überhaupt erscheint, bei allem, was
ich zur Begründung einer vernünftigen Volkswirtschaft mit Geistes-
gütern vorbereiten möchte, steh ich noch immer so gut wie allein.
Man meint, das brauche nur die „Fachleute" zu kümmern, was
unsrer Kultur mit metallenen Seilen die Bewegung hemmt und in
die Muskeln schneidet.

Ieht soll das Arheberrecht wieder einmal „ausgebaut" werden.
Ls ist von einer Verlängerring der Schutzfrist die Rede. Sie gilt
dreißig Iahre über den Tod hinaus, sie soll fünfzig gelten. Beachten
wir zunächst in Ruhe, eiu wie wundersam logisches Ding in sich diese
Schutzfrist vom Tode des Verfassers ab ist. Sie bedeutet: Stirb mit
fünfundzwanzig, uud das Wenige an Rechten, was du für Weib und
Kind etwa schon erwerben konntest, wird ihnen zur Feier deines
fünfundfünfzigsten Geburtstages konfisziert. Dagegen: Stirb mit
achtzig, und Kind, Enkel und Enkelkind profitieren von dem ohnehin
soviel größeren Ertrag deiner Lebensernte, nachdem du das selber
soviel länger getan hast, profitieren auch von deinen Iugendwerken
noch zehn Iahre über deine Iahrhundertfeier hinaus. Die Schutz-
frist bedeutet ferner: gerade die tiefsten Schöpfer, deren Verständnis
also am langsamsten durchdringt, deren Werke demnach, zumal bei
frühem Tod, vielleicht erst dreißig Iahr später überhaupt rentabel
werden, haben nicht nur selber von ihrem Urheberrechte sehr wenig,
sondern sie hinterlassen auch ihrer Familie viel weniger. Als tzebbel,
Ludwig, Mörike lukrativ wurden, lebten ihre Witwen noch, aber cin
Recht auf Ertrag hatten sie nicht mehr. Das sagt die Schuhfrist, und
das Rrheberrecht als solches? Verwerte bloß, popularisiere, schlachte
für den Kaufladen zu Pfundstücken aus, was jene organisch gestaltet

b Märzheft G>0 2stZ
 
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