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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 11 (1. Märzheft 1910)
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Avenarius, Ferdinand: Mißwirtschaft mit Geist
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0365
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haben, verdünne rhren Geist zu Bettelsuppen und siede aus ihrem
Gemüt Zuckerstangen, komme den Modeinstinkten oder komme dem
Tier im Menschen entgegerr, kurz: gib den Leuten nicht, was sie nährt
und wachsen macht, sondern wonach ihnen der Gaumen lüstelt —
dann hast du deine Bezahlung bar und profitierst vom Urheberrecht
sO bis sO OOOmal mehr als ein wirklicher Ur-Heber. Das Urheberrecht
kann ja nur nach dem Ta g e s- Marktwerte entschädigen.

Sollen wir daraus schließen, daß die Schutzfrist verlängert
werden müsse? Nichts weniger als dasl

Aber der Ilrheberschutz ist auch sonst noch ein sonderbares Ding.
Das Geringste, was man von ihm verlangen könnte, wäre doch eigent-
lich, daß er zum größten Teil, wenn nicht den eigentlichen Schöp-
fern neuer Werte, so doch wenigstens den Verfassern neuer
Werke zugute käme, den Poeten, Schriftstellern, Komponisten, Malern
selber und ihren Angehörigen. Und nicht einmal das trifft zu.
Sondern der geschäftliche Ausnutzer gewinnt mit seinen Nachkom-
men durch das Urheberrecht meist mindestens ebensoviel, wie die Auto-
rcn, und sehr oft wesentlich mehr, denn meist bleibt das Urheber-
recht ja gar nicht in den Händen des Verfassers oder seiner Familie.
Immer noch mehr: bei bedeutenden Werken, deren Wert langsam zur
Geltung kommt, macht nicht einmal der Verleger selbst das Haupt-
geschäft, der das Verdienst hat, es mit dem „schwierigen" Autor ge-
wagt zu haben, sondern die machen's, die soundso viel Iahrzehnte
später gerade im Besitze seiner Anstalt sind. Wer's nicht glaubt,
prüfe einmal nach, wie viele der Urheberrechte, deren Verlängerung
um weitere zwanzig Iahre man jetzt wünscht, auch nur dreißig nach
dem Tode der Autoren tatsächlich noch Eigentum ihrer Erzeuger
oder nur ihrer ersten Erwerber sind. Das Ergebnis wird ihn nicht
erstaunen, sondern verblüffen, zugleich aber auch sehr nützlich auf-
klären und zu großer Fröhlichkeit über die Behauptung anregen,
man wüusche die Verlängerung der Schutzfrist aus Gerechtigkeit gegen
die geistig Schaffenden uud ihre Kinder.

In Wahrheit ist das moderne Nrheberrecht einseitig im Sinne
des kapitalistischen Ilnternehmertums gebildet worden. Das ist ganz
natürlich und besagt für keine Menschenklasse einen Vorwurf. Der
Gedanke, daß auch das Eigentum an geistigen Werten geschützt wer-
den müsse, tauchte auf und wuchs, während man im wirtschaftlichen
Lcben noch gar keine andern Analogien zum Schutz dieser Werte
sah, als solche an materiellen Gütern: also nahm man sich diesen
Schutz materieller Güter zum Vorbilde. Dazu kam, daß die wirt-
schaftlich Schwächeren, die Verfasser, sich mit den wirtschaftlich Stärke-
ren, den Unternehmern, bei dieser Auffassung verbünden konnten
und so mehr Aussicht hatten, wenigstens etwas zu erreichen. Der
Uuternehmer ward auch deshalb der natürliche Führer, weil er von
wirtschaftlichen Dingeu mehr als die Autoren verstand. Anter den
Autoren anderseits waren die Ausnutzer von Tagesmarktwerten größer
an Zahl als die Schöpfer von geistigen Dauergütern, und so führten
im Kreise der Autoren wiederum die Geschäftemacher. Weiter: Die
eigentlichen Nr-Heber waren, wenn sie überhaupt aus ihrer Wohnung
beim Zeus auf die Erde hinabstiegen, geschäftlich höchst harmlose

29» Kunstwart XXIII, N
 
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