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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1910)
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Ullmann, Hermann: Ernst Moritz Arndt: 26. Dezember 1769 - 29. Januar 1860
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0096
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^Iahrg. 23 Zweites Ianuarheft 1910 Heft8

Ernst Moritz ArndL

26. Dezember 1769 — 29. Januar 1LS0

^>«^as wird wohl immer zu den wertvollsten Bildern der Geschichte
^F/gehören: eine in Kraft geschlossene Persönlichkeit, die ganz im
Dienste der Zeit, mit aller Glut ihres Empfindens und aller Be-
wußtheit eines vielerprobten Lebens nichts anstrebt, als Mahner, Be-
rater und Helfer der Zeit zu sein — und nun in eben diesem Bemühen
emporwächst zu mehr als zeitlicher Gcltung. Arndt will nichts als
dienen, restlos soll sein Schaffen in die Wandlung und das neue
Werdeu des Volkes einschmelzen, immer nimmt den Schriftsteller
und Dichter die Not der Allgemeinheit in Anspruch: und in eben
diesem Dienst, dieser Hingabe und Aufopferung an die Gegenwart
gestaltet sich ein Mannesleben, das weit über die Zeit hinausragt
und aus dem wir vom Ansang des zwanzigsten Iahrhunde s mit
unsern neuen Nöten noch immer Trost und Hilfe gewinnen - Znuen.
So ist er ein rechtes Beispiel dafür, wie höchste Persönlichkeit nicht in
völliger Beschränkung auf die eigne Innerlichkeit, sondern in der
Hingabe an eine Gemeinsamkeit errungen wird.

Seine Hingabe ist vollkommen. Nie predigt er, so hart er tadelt.
Er erlebt wie alle großen Helfer und Lebensförderer die Allgemein-
entwicklung in sich und schließt sie für sich in sich ab. Anermüdlich
betont er, daß er selbst jener Zeit angehöre, die er so hart anfaßt.
Immer ist das sördernde und Freudigkeit weckende „Wir" bei ihm
zu höreu, das eine Gemeinsamkeit von Vorwärtsstrebenden voraus-
setzt, nie das sich absondernde „Ich". Wenn er von sich spricht, ge-
schieht es immer im Hinblick auf die Zeit, im Zusammenhang mit
den Zeitgenossen, unablässig forscht und fragt er, ob er sich nicht
vom allgemeinen Streben entferne, ob er sein Helferamt rein ver-
walte, ob es nicht seine besondre Vorliebe und sein besondrer Haß
seien, die ihn zum Kampfe riefen. Hier zeigt sich neben der Hingabe
jene andre höchste Tugend, die ein solches Amt wie das seine erfordert:
das starke Gefühl der größten Verantwortlichkeit. Das Aufgehen in
der allgemeinen Not verbunden mit dem Gefühl der ungeheuren Ver-
antwortung, die der Zeit auferlegt ist, sie bilden den bis dahin kaum
dagewesenen Ernst, mit dem er den inneren Zustand Deutschlands
prüst. Das ist das Neue, das Arndt vor der früheren Generation
voraushat.

„Ich sehe die hohe Pflicht eines Wächters und Stundeuweisers der
Zeit, indem ich begreife, wie die Menschen jetzt geboren, gebildet uud
geworden sind. Abgründe öffnen sich vor und hinter mir, so wie
das hohle Nichts, woran sich alles blind und vertrauend lehnt, heller
vor meinem Blick aufsteigt. Zahllos sind die Wege, zahllos und laut-
halsig sind die Ausrufer und Wegweiser; zehntausend halbblinde
Augen für ein gesundes, und doch nur ein Weg zur Wahrheit
und Gerechtigkeit. Diesen Grund des jetzigen Lebens, dies geistige
Gespenst, wodurch es geführt wird, soll ich immer unverwandt an-

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