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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 12 (2. Märzheft 1910)
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Avenarius, Ferdinand: Ostergedanken
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0453
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allem, wird ungefärbt dargestellt, was der Gegner will? Liest man
die Blätter der verschiedenen Parteien, so ist's, ganz wenige Aus-
nahmen abgerechnet, nicht, als wenn Streiter zur Verteidigung ihrer
Güter, sondern als wenn Klopffechter um den Applaus gegeneinander-
zögen.

Möglich, daß es oft, daß es meisteus uoch nicht anders geht, der
Menge wegen, der Massen wegen. Erbärmlich, wenn man glauben
sollte, es würde nie anders gehn. Aber auch dumm: denn da und
dort geht es anders schon heute. Ilnd kurzsichtig bis zur Gefährdung
von allem Kulturgut, wer nicht erkennt, daß die Zukunft unserer
Nation davon abhängt: obdieSelbsterziehungderführen-
den Minderheiten zum Urteilen und Handeln nach
besonnener Einsicht gelingt.

Andre, vor allem sämtliche andern germanischen Völker, sind darin
weiter als wir. Wir, die wir an Kräften, auch an vielen seelischen
und geistigen Kräften, zu den reichsten von ihnen alleu gehöreu, sind
als Organisatoren unsrer Kraft von ihnen allen die schwächsten. Viel-
leicht, weil wir mit slawischem und anderm fremden Blute durchsetzt
sind, vielleicht wegen der Entkräftung im Dreißigjährigen Kriege,
vielleicht aus andern Gründen. Aber ouch die Mischungeu der Rassen
bringen ja neben dem Schlechten, so heißt es, Gutes, und wenn das
falsch ist: Wir Deutschen müssen die Elemente in uns doch wohl
nehmen, wie sie sind. Das Auftrumpfen auf die einen davon hilft
nichts, die andern bleiben doch. Vielleicht würde uns mehr Bescheiden-
heit nichts schaden, nachdem wir s870 ein gut Stück Größenwahu
der §ranä6 nation mit der Kriegsbeute herübergenommen haben. Be°
scheidenheit für die Gebiete, auf denen wir noch nicht führen, son-
dern vorläufig, und manchmal an der Nase, geführt werden. Die
Gebiete, wo wir die ersten, sind auch da. Hei, werden sie Ernten
geben, wenn wir sie gereift in Freiheit bebauen können — in
Freiheit auch vom Dünkel.

Ob Lamprechts Osterhoffnung eintrifft, wissen wir nicht, das aber
wissen wir, so gut es der Leipziger Historiker weiß: Zwischen all dem
Widerwärtigen, vou dem wir sprachen, hat sich im letzten Iahrzehnt
der deutsche Idealismus nicht geschwächt, sondern gekräftigt. Vor
allem, was fürs Politische das Wichtigste ist: er hat sich in so weite
Kreise gewagt, wie seit lange, lange nicht. Wir dürfen sagen: er
w ohnt schon in recht weiten Kreisen. Was das Beste ist: dort schwärmt
er nicht mehr bloß, er arbeitet auch. Das heißt: er wirkt. A

Lose Blätter

„Wolfgang Kirchbach in seiner Zeit"

sWolfgang Kirchbach war eincr dcr gcist- und phantasiercichsten Köpfe
sciner Zcit — wer auch nur einmal zu behaglichem Gcspräche mit ihm
gekommcn ist (und das war nicht schwcr), der hat das gefühlt. Ich kannte
ihu scit unscrcr gcmeinsamen Iungenszcit, aber lange übcr sie hinaus
hat mir keincr untcr den Freundcn, hat mir kein Altersgenossc übcrhaupt
so imponicrt wie cr, von dcssen Vegabung ich, trotz allerlei Opposition

2. Märzhcft (9(0 ^ ! 369
 
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