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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 12 (2. Märzheft 1910)
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Avenarius, Ferdinand: Ostergedanken
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0452
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wrr ergänzen sie nach Urväterwerse fast nur arrs denr Adel. And
haben drese Frage rmmer noch nicht aus den P a r t e i interessen gelöst!
Unsre Verwaltung ist, wenn nicht Herrschaft--, so doch Vorherrschaft-
gebiet des Adels. Unser Volk in Waffen wird vom Adel geführt,
als lebten wir noch unter Verhältnissen, wie in graner Zeit. All
das, während die mitbewerbenden Völker aus dem gesamten Volk
zehnmal größere Wahl haben. Lin Ehrenzeugnis in Glanz für ver-
erbte Tüchtigkeit, daß es immer noch bei uns „geht", aber die vererbte
Tüchtigkeit des Adels ginge uns nicht verloren, wenn die geistig
Ebenbürtigen aus allen Ständen auch in diese Berufe neben den
Adel träten. And was das Schlimmste ist: man verleugnet im politi-
schen Kampf seine Äberzeugung, weil man ihr Bekenntnis nicht
für „opportun" hält, und sät so Mißtrauen gegen die eigneu
Worte, auch wo sie noch so aufrichtig sind. „Es gibt keine Bevor-
zugung des Adels in Deutschland." Als wenn nicht jede Beamten-
und Offiziersliste das Gegenteil erwiese: Man reizt den Gegncr,
den man beruhigen möchte, durch Worte, die auf ihn wirken müssen
wie Hohn. Ich führe das vom Adel nur als Beispiel an für die
Verquickung der Fragen nach möglichst hoher Lntfaltung der nationalen
Gesamtkraft mit Klassen- und Parteiinteresse. Sind nicht unsre kon-
servativen, unsre ultrakonservativen Kreise geradeso an der Verwaltung
der Amter durch die Auslese der Besten unter allen interessiert, wie
die liberalen und demokratischen? Zu dem einen Beispiel von rechts
dann eines von links: das Wahlrecht. Welcher Denkende kann
im Ernst behaupten, daß jeder Dorf- oder Fabrikjunge von 2j oder
auch jeder junge Mann von 25 Iahren die gleiche politische Einsicht,
das gleiche Gefühl der Verantwortung habe, wie der gereifte Gebildete,
der zudem auch verantwortlich für Weib und Kinder wählt? Gewiß,
auch wer das nicht behauptet, kann das allgemeine Wahlrecht, wie
ja wir alle tun, unter Umständen für notwendig und unentbehrlich
halten wie jetzt im Reich. Die Frage jedoch, ob die Macht in allen
Stadt- und Einzelstaatparlamenten der durch nichts gesichteten Mehr-
heit zu wünschen sei, ist doch wohl mehr eine Frage der Massen-
psychologie als der Partei. Trotzdem wird sie als Partei-
sache behandelt. Als sagten nicht nur, als dächten auch alle Ge-
scheiten zur Rechten einstimmig nein und alle zur Linken einstimmig ja.

Dennoch kann keiner von uns glauben, daß bei der Frage vom
Adel die Leute rechts, bei der vom Stimmrecht die Leute links in ihrer
Mehrheit wider ihre Äberzeugung sprächen. Es ist zwar erstaunlich,
was sich der Mensch von seinen Wünschen aufschwatzen läßt, aber er
tut's nun mal. Der Grundsatz, daß man ohne Beweis keinem
Gegner Motive unterschieben darf, die er ablehnt, hat darin seine
psychologischen Gründe. Seine Notwendigkeit geht aus der Tatsache
hervor, daß wir alle miteinander auskommen müssen. Ich habe
gelegentlich der „Wahlkampfästhetik" (Kw. XX, (0) von den Beweisen
der politischen Ilnreife gesprochen, die unsre Presse in solchen Zeiten
dreifach, in Friedenszeiten aber immerhin auch schon ausreichend
erbringt. Wo wird der Sozialdemokrat nicht höhnisch „Genosse",
wo der Konservative nicht „Iunker" genannt, wo der gegnerische Ge-
danke nicht auch nach seinem sittlichen Werte verdächtigt, wo, vor

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