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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 9 (1. Februarheft 1910)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0230
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gelassen.« Der hat es klar erkannt, nur zu klar. Ohne es zu wollen,
so fürchte ich, hatten Sie, Freule, einen großen Anteil zu jenen Kapiteln
beigetragen, die bereits geschrieben sind. Wcndela, würden Sie sich wohl
zu dem Versuch, den Rest mit reinen Händen und rechtschaffenem Fleiß
gemeinsam zu schreiben, mit mir vereinigen wollen?"

Rundschau

Erdenflucht undHimmels-

Mg

nser Leben und Erleben geht
hin und her zwischcn Himmel
und Erde, Erträumtem und Faß°
barem. Wir sehen einmal das
Weltbild in die Ferne gestellt,
im Großen zusammenhängend, und
ziehen die reinen Weiten in die
Seele ein, vergessen Zeit und Ort,
sind selig. Dann wieder graben
wir uns in das Zeitbild hinein,
das wirre, grenzen ab vom Großen
zum Kleinen, vom Kleinen zum
Kleinsten, zum Einzelnen, spähen
mit geschärften Sinnen ins Ge-
triebe um uns, suchen Erkennen
am kleinsten Teil. Suchen, recht
Erdensöhne, uns unsrer eigenen
Welt zu bemächtigen. Suchen
nach Heimat — und werden doch
nie glücklich im Besitz.

Während wir träumend im Ge°
fühl uns zum Beherrscher der Welt
aufschwingen, glückerfüllt übcr
Höhen und Tiefen ins All, bleiben
wir in unsrer selbstgeschaffenen,
greifbar nahen Umgebung Skla-
ven. Nicht etwa darum meine ich's,
weil wir nicht alles, was unsre
Sinne entdecken, mit dem Berstand
uns zn eigen machen können, son-
dern in Anbetracht des Gefühls,
weil wir das Ererbte und selber
Miterschaffene um uns nicht mit
dem Gefühl beherrschen. Wir
können an unsrer Nah-Welt nicht
die seelische Lust eines Vezwingers
empfinden, weil sie von sich aus
fortwähreud in unser Geträum mit
hineinspricht und mit eingrcift, hart

als Wirklichkeit, während für unser
Gefühl gar nicht Wirklichkeit, son-
dern nur Bild, nur Anschauung ist,
was uns das Auge gemcinsam mit
der Phantasie vom Himmel in die
Arme legt.

Es wird so sein, daß der Bauer
auf dem Lande an seiner Umwelt
mehr Besitzer ist; uns Großstädtern
jedenfalls ist die unsrige über den
Kopf gewachsen. Wir haben nicht
das Herrengefühl vor dem zer-
laufenden Bild unsrer Umgebung,
wie es uns ausfüllt, wenn wir
über das Weltall träumen. Warum
haben wir es nicht? Weil wir hier
unten in der Härte der Dinge stecken,
die zu bewältigen weit mehr Kraft
braucht, als das Spielen mit den
leuchtenden Bildern droben, die zu
allem, was wir mit ihnen an°
fangen, schweigen. Oder ist wohl
jeder von uns auch so viel Herr
über sich, daß er sich aufzuschwin-
gen vcrmag, um seine Umgebung
mit dem Gefühl aus der Vogel-
schau im Ganzen zu sehn? Sind
wir solche Beherrscher unsrer Um-
welt, oder stehen wir nicht viel-
mehr wie mit dem Körper so
auch mit dem Geist immer zufällig
irgendwo im Gangwerk, nur mit
oder von etwas beschränktem Spe-
ziellen beschäftigt, von dem wir zu
Aberblicken übers Ganze gar nicht
loskommen?

Warum wir unser Gefühl zum
Herrn über das Ningsum erziehen
sollten? Wir würden dadurch ge°
sünder, denn wir hätten in unserm
Willen dann eine Waffe gegen
vieles als Unlust Gcfürchtete, das

l- Februarheft WO l37

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