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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 11 (1. Märzheft 1910)
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Avenarius, Ferdinand: Mißwirtschaft mit Geist
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0366
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Leute, sie ließcn sich willig von dem Schimmer von Idealismus blen--
den, der in dem schönen Worte vom ^Schutz der Geistesgüter" lug.
Schlicßlich: die alte Freibeuterei war nachgerade wirklich ein unhalt-
barer Skandal geworden, mit ihr verglichen war das moderne Ur-
heberrecht in seinen Ansängen tatsächlich ein Fortschritt. So kam
alles zusammen, um die Entwicklung in die Richtung der kapita-
listischen Auffassung zu leiten, in die Richtung, die schließlich mit
dem wundervollen neuen Urhebergesetz für bildende Kunst und Photo-
graphie sogar dem Abphotographierer von Abphotographiertem nicht
nur Technikerschutz, sondern ganz richtigen Ur-Heber-Charakter zu-
sprach. IH wiederhole: unter dem einhelligen Beifall aller Parteien,
auch der sozialdemokratischen. Erst in der letzten Zeit kommt lang-
sam Zeichen nach Zeichen dafür, daß es nicht nur in den Autoren-
und Künstlerköpfen bei Betrachtung dieser Art von Urheberrecht heller
wird, nein, daß man auch den Schaden zu ahnen beginnt, den man
dadurch unsrer Kulturentwicklung zufügt. Ausnahmen immer zu-
gegeben, verhält es sich ja so: erst wenn neue Geisteswertc dreißig
bis hundert Iahre abgestanden sind, können sie im Bolke ohne
geschäftliche Hemmungen genutzt werden. Bis dahin verfügt über
Verbreitung oder Zurückhaltung dcr geistigen Erwerbungen der Nation
der Besitzer des Urheberrechts, d. h.: in neunzig von hundert Fällen
fördert oder hemmt unsre Geisteskultur nach rein kaufmännischen Er-
wägungen ein Geschäftsmann. Wie die Dinge liegen, darf er das
nicht nur, muß er's oft.

Fragen wir uns: welche Faktoren kommen rein aus der Sache
heraus für ein gutes Urheberrecht in Betracht? Erstens: die
Interessen der Allgemeinheit. Zweitens: die der Urheber. Drit-
tens: die der Gewerbe und Industrien, die bei der Ausnutzung
dieser Werte beteiligt sind.

Die Intcressen der Allgemeinheit sind die wichtigsten. Sie
haben, wie bei jedem vernünftigen Rechte andrer Art das Privat-
eigentum zu beschränken und zu ergänzen. Im Interesse
der Allgemeinheit liegt, daß bedeutsame neue Werte mit möglichst
geringen Hemmungen schnell aufgenommen, schnell verarbeitet
werden. Anderseits: daß Urheber von besonderen nützlichen Fähig-
keiten diese Fähigkeiten möglichst wenig behindert zur Erzeugung
von Werten betätigen können. An Werten, wie sie zuhauf ent-
stehen und ebensogut durch andre ersetzt werden können, an Dutzend-
und Großwerten besteht nur das Privatinteresse ihrer Besitzer. Dar-
aus geht hervor: es liegt im Interesse der Allgemeinheit, daß über
den allgemeinen Verfasserschutz hinaus die Schöpfer wichtiger geistiger
Werte nach Möglichkeit und Menscheneinsicht unabhängig gemacht
werden vom Tages-Marktwert.

Die Interessen der Urheber sind, vor allem, nicht schlechthin
dieselben wie die der Besitzer der Urheberrechte. Abgesehen von
dem Unterschiede zwischen Tages- und Dauerwert: es kommen bei
den Urhebern für die bessere oder schlechtere Verwertung Fähig-
keiten oder Unfähigkeiten geschäftlicher Art in Betracht, die bei Den-
ker- und Künstler-Naturen ganz außerhalb ihres geistigen Zentrums
liegen und jetzt doch oft genug über die Entlohnung der Denker

l. Märzheft MO 2I5
 
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