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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

DOI issue:
Heft 9 (1. Februarheft 1910)
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Nidden, Ezard: Maarten Maartens
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0194
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wo nicht die Gestalten der Dichtung sondern der leitartikelirde Schrift-
steller Polenz Träger des idealen Wollens wird. Sie stören, well
wir uns sogleich in einer anderen Welt befinden, fern von der des
Dichters. In dieser dars unserm einfühlenden Bewußtsein alles zu-
gemutet werden, sofern es nicht den Grundtendenzen unserer Natur
widerspricht; in der Welt des Leitartikels aber widersprechen wir oder
diskutieren wir, sind wir gelangweilt oder abgestoßen je nach unserer
eigenen realen Stellung zu den aufgeworfenen Fragen. Nnd es ist
nichts als eine allerdings sehr gewöhnliche Selbsttäuschung, wenn der
Lpiker meint, seiner Anschauung mehr Gewicht verleihen zu können,
indem er bekennend dafür in die Schranken tritt. Der Gebildete wird
nicht nur sofort den Mangel dichterischen Könnens darin erblicken,
sondern auch wissen, daß die erwünschte Wirkung auf dem Wege des
echten Künstlers tiefer und stärker zu erreichen gewesen wäre.

Gerade das bestätigen auch die Werke von Maarten Maartens.
Denn dieser weltweise und weltweite Prosaiker ist wahrlich nichts weni-
ger äls ein Fremdling in den Fragen und Problemen, welche die
Gegenwart bedrängen. Schon in seinem ersten Roman „Gottes Narr",
für den seinerzeit Avenarius im Kunstwart lebhaft eintrat, brandet
um die stille Insel des erblindeten und tauben Geistesschwachen das
ganze Meer von Geldsucht und Eifersucht, Haß, Verkommenheit,
Lebenslust und Lebenslüge, welches der Kapitalismus in der Geueration
der jüngsten Erben zeugt; während der einsame eigentliche Besitzer,
eben der blinde Gottes-Narr, allmählich aus dem Dunkel seiner Seele
den Weg des Herzens zu Gott findet, treibt der Verstand der Verstän-
digen draußen die Konflikte so auf die Spitze, daß uur Brudermord
das Vermögen des Taubblinden rettet. — „Ioost Avelinghs Schuld"
ist der Haß gegen seinen Oheim und Erzieher, der die Iugend des
Neffen durch Härte und Rauheit, aber in bester Absicht unglücklich
gemacht und damit das Temperament des Mannes nach dem Schwer-
mütig-Grüblerischen gewendet hat. Avelingh wird zwar von der An-
klage wegen Mordes an seinem Erblasser, durch dessen plötzlichen Tod
er in den Besitz eines Riesenvermögens und seiner geliebten Frau
gekommen ist, mit Recht freigesprochen, ja der Volkswille macht den
Anerkennung bedürftigen, uirablässig wohltätigen Millionär zum
Abgeordneten —, aber die Macht des Gewissens zwingt ihn, im Augen-
blick seiner höchsten Ehrung seine Stellung und seinen Reichtum auf-
zugeben, um so dem letzten, nicht testamentarischen, Willen des Onkels
Folge zu leisten und die Freiheit der eigenen Seele zu retten.

Abenteuerlich bis zum Grotesken und doch voll tiefer Lebenswahr-
heit ist die Geschichte von der „Liebe eines alten MLdchens". Diese
Liebe gilt einem angenommenen Neffen des Fräulcins Susanne Varel-
kamp, welcher jung, schön, lebenslustig und - Student der Theologie
ist. Iung, schön, lebenslustig uud Pariser Weltdame ist die Vicomt-
esse Mongelas, welche ihn nach einer Reihe wunderlicher Verknüp-
fungen entführt, ihm das Leben im Licht zeigt und ihn zuletzt doch
wieder der Tante zurückgeben muß, nachdem diese in blinder religiöser
Gerechtigkeit vergebens Welt und Recht in Bewegung zu setzen ver-
sucht hat, um durch Scheidung und Vereinigung cine rechte Ehe
zwischen den beiden zustande zu bringen. —

Februarheft GlO tA
 
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