Theater
Vom Burgtheater
ach langer Zeit spricht man
wieder vom Burgtheater. Nicht
bloß in Wien, wo es von jeher
zum guten Ton gehörte, davon zu
reden, sondern fast überall, wo
man sich für deutsche Schauspiel-
kunst interessiert. Es scheint, als ob
noch immer ein Abglanz jener Zeit
auf dcm Burgtheater ruhte, wo es
im Mittelpunkt des ganzen deut-
schen Bühnenlebens stand; wo Hein-
rich Laube das Zepter schwang und
Wien zum geistigen Brennpunkt
alles dramatischen Schaffens machte;
wo Franz Grillparzer wirkte und
Friedrich Hebbel, angelockt durch
die ernste künstlerische Arbeit am
Burgtheater, sich in Wien nieder-
ließ; wo Otto Ludwigs „Erbförster"
von Wien aus seinen Siegeszug
über die deutschen Bühnen nahm
und Eduard Vauernfeld, Ferdinand
Naimund und Iohann Nestroy den
Wiener Humor in allcn Schat-
tierungen vertraten. Mit den poli-
tischen Umwälzungen der Iahre
l866 und l870 ist das anders ge-
worden. Die Berliner Theater be°
gannen den Ton anzugeben und
Richtungen zu bestimmen, und je
lauter ihr junger Eifer sich aus-
tobte, desto stiller wurde es vom
alten Burgtheater. Nun wird auch
„im Reich" plötzlich wieder von
ihm gesprochen. Hat es seine künst-
lerische Sendung erfüllt oder ist
ihm noch eine schönere Zukunft
beschieden?
An Stelle des früheren Leiters
wurde ein neuer bcrufen. Able
Nachreden begleiten den Abgang
des einen, hoffnungsfreudige Vor-
reden begrüßen den Eintritt des
andern, und was das Burgtheater
den Wienern und der deutschen
Schauspielkunst einst gewesen, was
es ihnen hcute nicht mehr ist und
was es ihnen wieder werdcn soll,
darüber wird mit mehr Eifer als
Sachkenntnis debattiert. Im Grunde
ist, was jetzt geschieht, nichts Neues.
Es wiederholt sich ungefähr allc
zehn Iahre. Seit dem Bestand des
Burgtheaters hat es nur zwei
Männer gegeben, die länger als
ein Iahrzehnt sich als Leiter der
Wiener Hofbühne behaupten konn-
ten: Ioseph Schrehvogel und Hein-
rich Laube. Ihnen allein war es
gegönnt, in einer je achtzchnjähri-
gen Direktionsfrist ihre Absichten
durchzusetzen, unter ihnen erreichte
das Burgthcater auch seine vor-
nehmste künstlerische Höhe nnd eine
geistige Bedeutung, die Wien vor-
übergehend zur Hauptstadt des deut-
schen Lheaters erhob. Seinen übri-
gen Leitern war kaum viel mehr
beschieden, als vorzubereiten oder
wieder verfallen zu lassen, was
jene auf- und ausgebaut hatten.
Den dritten Weg, das einmal Er°
rungene zu erhalten, hat kaum
einer von ihnen mit dauerndem
Erfolg betreten, ein so großes Ge-
wicht auch immer auf die Wahrung
der „altehrwürdigen" und „gehei-
ligten" Tradition gelegt worden
war. And in dieser auf- und ab-
stcigenden Entwicklung war noch
jeder Leitungswechsel im Burg-
theater mit einer — Krise ver-
bunden.
Man weiß, wie vieldeutig, auf
ein Hoftheater angewandt, das
Wort „Krise" ist. Ein jeder kann
ihr ein andres Motiv untcrschieben,
ohne deshalb im Unrecht sein zu
müsscn. Neben Fehlgriffen in der
artistischen und Mißerfolgen in der
administrativen Leitung, die sich
nur in den seltensten Fällen rein-
lich scheiden lassen, spielen im Be°
triebe einer Hofbühne gewöhnlich
auch noch Machteinflüsse von oben,
moralische Widerstände von unten,
Ränke von innen und außen mit,
und meist ist es irgendein Zufäl-
liges, ein Nebensächliches, das
Kunstwart XXIII, 9
Vom Burgtheater
ach langer Zeit spricht man
wieder vom Burgtheater. Nicht
bloß in Wien, wo es von jeher
zum guten Ton gehörte, davon zu
reden, sondern fast überall, wo
man sich für deutsche Schauspiel-
kunst interessiert. Es scheint, als ob
noch immer ein Abglanz jener Zeit
auf dcm Burgtheater ruhte, wo es
im Mittelpunkt des ganzen deut-
schen Bühnenlebens stand; wo Hein-
rich Laube das Zepter schwang und
Wien zum geistigen Brennpunkt
alles dramatischen Schaffens machte;
wo Franz Grillparzer wirkte und
Friedrich Hebbel, angelockt durch
die ernste künstlerische Arbeit am
Burgtheater, sich in Wien nieder-
ließ; wo Otto Ludwigs „Erbförster"
von Wien aus seinen Siegeszug
über die deutschen Bühnen nahm
und Eduard Vauernfeld, Ferdinand
Naimund und Iohann Nestroy den
Wiener Humor in allcn Schat-
tierungen vertraten. Mit den poli-
tischen Umwälzungen der Iahre
l866 und l870 ist das anders ge-
worden. Die Berliner Theater be°
gannen den Ton anzugeben und
Richtungen zu bestimmen, und je
lauter ihr junger Eifer sich aus-
tobte, desto stiller wurde es vom
alten Burgtheater. Nun wird auch
„im Reich" plötzlich wieder von
ihm gesprochen. Hat es seine künst-
lerische Sendung erfüllt oder ist
ihm noch eine schönere Zukunft
beschieden?
An Stelle des früheren Leiters
wurde ein neuer bcrufen. Able
Nachreden begleiten den Abgang
des einen, hoffnungsfreudige Vor-
reden begrüßen den Eintritt des
andern, und was das Burgtheater
den Wienern und der deutschen
Schauspielkunst einst gewesen, was
es ihnen hcute nicht mehr ist und
was es ihnen wieder werdcn soll,
darüber wird mit mehr Eifer als
Sachkenntnis debattiert. Im Grunde
ist, was jetzt geschieht, nichts Neues.
Es wiederholt sich ungefähr allc
zehn Iahre. Seit dem Bestand des
Burgtheaters hat es nur zwei
Männer gegeben, die länger als
ein Iahrzehnt sich als Leiter der
Wiener Hofbühne behaupten konn-
ten: Ioseph Schrehvogel und Hein-
rich Laube. Ihnen allein war es
gegönnt, in einer je achtzchnjähri-
gen Direktionsfrist ihre Absichten
durchzusetzen, unter ihnen erreichte
das Burgthcater auch seine vor-
nehmste künstlerische Höhe nnd eine
geistige Bedeutung, die Wien vor-
übergehend zur Hauptstadt des deut-
schen Lheaters erhob. Seinen übri-
gen Leitern war kaum viel mehr
beschieden, als vorzubereiten oder
wieder verfallen zu lassen, was
jene auf- und ausgebaut hatten.
Den dritten Weg, das einmal Er°
rungene zu erhalten, hat kaum
einer von ihnen mit dauerndem
Erfolg betreten, ein so großes Ge-
wicht auch immer auf die Wahrung
der „altehrwürdigen" und „gehei-
ligten" Tradition gelegt worden
war. And in dieser auf- und ab-
stcigenden Entwicklung war noch
jeder Leitungswechsel im Burg-
theater mit einer — Krise ver-
bunden.
Man weiß, wie vieldeutig, auf
ein Hoftheater angewandt, das
Wort „Krise" ist. Ein jeder kann
ihr ein andres Motiv untcrschieben,
ohne deshalb im Unrecht sein zu
müsscn. Neben Fehlgriffen in der
artistischen und Mißerfolgen in der
administrativen Leitung, die sich
nur in den seltensten Fällen rein-
lich scheiden lassen, spielen im Be°
triebe einer Hofbühne gewöhnlich
auch noch Machteinflüsse von oben,
moralische Widerstände von unten,
Ränke von innen und außen mit,
und meist ist es irgendein Zufäl-
liges, ein Nebensächliches, das
Kunstwart XXIII, 9