tun würde, den ganzen Bettel so
bald als möglich fahren zu lassen;
aber ich werde euch zur Antwort
gcben: die Schanze, die ein tüch-
tiger General verteidigt, ist anch
Dreck, aber er darf sie doch nicht
schimpflich im Stiche lassen, wenn
er nicht seine eigne Ehre in den
Dreck treten will." Das sind
Worte Goethes, das ist Goethe-
scher 'Geist. So aber dachte auch
Laube. Man sagt, daj; auch Ber-
ger so denke. Also: Glückanf zum
Werk!
Theodor Antropp
Berliner Theater
as eine Weile unterbrochen
war, ja, was wohl ganz und
gar abhanden gekommen zu sein
schien, das findet sich nun all-
mählich wieder ein: eine gute Tra-
dition, eine allgemeine, leidlich be-
friedigende Durchschnittshöhe für
das tüchtige, geschickt gcbaute nnd
bühncnwirksame Theaterstück. Wir
wollen uns der Wendung freuen,
nachdcm die Gattung allznlange
unter überspannten odcr engsinni-
gen artistischen Forderungen ciner
manchmal schon Papier geworde-
nen, rein literarischen Ästhetik hat
zurückstchen müssen; wir wollen
nun aber auch von vornhcrein
sorgsam auf dcr Hut sein, daß sich
in dem verändertcn Klima der
Dramatik nicht etwa die Anter-
schiede zwischen Bühnendichter
und Bühnens ch r i f t st e l l e r zu-
gunsten des Handwcrkers vcrschie-
ben. So nötig uns eine Hebung
des allgemeinen dramatischen Kul-
turniveaus sein mag, das Genie
kann uns auch in der Dramatik,
der realsten und praktischsten aller
Dichtgattungen, kein noch so er-
freulicher Hochstand mittlerer Ve°
gabungen ersctzen. Ein waruendes
Schulbeispiel für die Verwechslun-
gen, Verirrungcn und Enttäuschun-
gen, die uns da drohen, licgt vor
in dem dreiaktigen Renaissance-
drama „Don Fuans letztes
Abenteuer" von Otto Anthes,
das man in Wien bci seiner Erst-
aufführung mit fast ungcteilter Be-
geisterung, in Berlin, nach der
Aufführung im Neuen Theater,
mit geflissentlicher Kühle und
Gleichgültigkeit aufnahm. Dort
hatte allzu ausschließlich der prak-
tische Lheatersinn, hier allzu iso-
liert die rein litcrarisch-ästhetische
Kritik das eutscheidende Wort. Ein
zutreffendes Arteil über das Stück,
ein Urteil, das zugleich der Be-
deutung seiner Art für unsre ge-
genwärtige dramatische Gesamt-
kultur gerecht wird, ist nur aus
der Vereinigung beider Betrach-
tungsweisen zu gcwinnen.
Ich habe mit dem Stück eine
merkwürdige Erfahrung gemacht.
Ich sah es auf der Bühue erst,
nachdem ich es eiu paar Lage
vorher gclesen hatte (Buchausgabe
bei Egon Fleischel >L Lo., Berlin).
Da war ich dann erstaunt, wie
manches, was ich beim Lesen für
abstrakt oder gar tot gehaltcn hatte,
auf der Bühne zu lcben begann.
Ganze Satzreihen, ganzc Dialog-
stellen, die sich im Buche nur
mühsam, wie auf Krücken, fortzu-
schleppen schieueu, hatten da plötz-
lich gelernt, sich natürlich und
munter auf eignen Füßen zu be-
wegen. Das erstaunlichste aber
war, daß die auf dem Papiere
fast peinlich klare und durchsichtige
Handlung, wohl disponiert wie sie
war, auf der Vühne Brechungen,
Lücken und Ausbiegungcn gewann,
die für den dramatischen Gesamt-
eindruck höchst wohltueud wirkten.
Da sah man dcnn, daß dies Drama
ohne literarische Durchgangsstation
gleich auf die Bühne hin gesehen,
aus dem Gefühl des Theaters her-
aus gearbeitet war. Genau ge-
Kunstwart XXIII, 9
bald als möglich fahren zu lassen;
aber ich werde euch zur Antwort
gcben: die Schanze, die ein tüch-
tiger General verteidigt, ist anch
Dreck, aber er darf sie doch nicht
schimpflich im Stiche lassen, wenn
er nicht seine eigne Ehre in den
Dreck treten will." Das sind
Worte Goethes, das ist Goethe-
scher 'Geist. So aber dachte auch
Laube. Man sagt, daj; auch Ber-
ger so denke. Also: Glückanf zum
Werk!
Theodor Antropp
Berliner Theater
as eine Weile unterbrochen
war, ja, was wohl ganz und
gar abhanden gekommen zu sein
schien, das findet sich nun all-
mählich wieder ein: eine gute Tra-
dition, eine allgemeine, leidlich be-
friedigende Durchschnittshöhe für
das tüchtige, geschickt gcbaute nnd
bühncnwirksame Theaterstück. Wir
wollen uns der Wendung freuen,
nachdcm die Gattung allznlange
unter überspannten odcr engsinni-
gen artistischen Forderungen ciner
manchmal schon Papier geworde-
nen, rein literarischen Ästhetik hat
zurückstchen müssen; wir wollen
nun aber auch von vornhcrein
sorgsam auf dcr Hut sein, daß sich
in dem verändertcn Klima der
Dramatik nicht etwa die Anter-
schiede zwischen Bühnendichter
und Bühnens ch r i f t st e l l e r zu-
gunsten des Handwcrkers vcrschie-
ben. So nötig uns eine Hebung
des allgemeinen dramatischen Kul-
turniveaus sein mag, das Genie
kann uns auch in der Dramatik,
der realsten und praktischsten aller
Dichtgattungen, kein noch so er-
freulicher Hochstand mittlerer Ve°
gabungen ersctzen. Ein waruendes
Schulbeispiel für die Verwechslun-
gen, Verirrungcn und Enttäuschun-
gen, die uns da drohen, licgt vor
in dem dreiaktigen Renaissance-
drama „Don Fuans letztes
Abenteuer" von Otto Anthes,
das man in Wien bci seiner Erst-
aufführung mit fast ungcteilter Be-
geisterung, in Berlin, nach der
Aufführung im Neuen Theater,
mit geflissentlicher Kühle und
Gleichgültigkeit aufnahm. Dort
hatte allzu ausschließlich der prak-
tische Lheatersinn, hier allzu iso-
liert die rein litcrarisch-ästhetische
Kritik das eutscheidende Wort. Ein
zutreffendes Arteil über das Stück,
ein Urteil, das zugleich der Be-
deutung seiner Art für unsre ge-
genwärtige dramatische Gesamt-
kultur gerecht wird, ist nur aus
der Vereinigung beider Betrach-
tungsweisen zu gcwinnen.
Ich habe mit dem Stück eine
merkwürdige Erfahrung gemacht.
Ich sah es auf der Bühue erst,
nachdem ich es eiu paar Lage
vorher gclesen hatte (Buchausgabe
bei Egon Fleischel >L Lo., Berlin).
Da war ich dann erstaunt, wie
manches, was ich beim Lesen für
abstrakt oder gar tot gehaltcn hatte,
auf der Bühne zu lcben begann.
Ganze Satzreihen, ganzc Dialog-
stellen, die sich im Buche nur
mühsam, wie auf Krücken, fortzu-
schleppen schieueu, hatten da plötz-
lich gelernt, sich natürlich und
munter auf eignen Füßen zu be-
wegen. Das erstaunlichste aber
war, daß die auf dem Papiere
fast peinlich klare und durchsichtige
Handlung, wohl disponiert wie sie
war, auf der Vühne Brechungen,
Lücken und Ausbiegungcn gewann,
die für den dramatischen Gesamt-
eindruck höchst wohltueud wirkten.
Da sah man dcnn, daß dies Drama
ohne literarische Durchgangsstation
gleich auf die Bühne hin gesehen,
aus dem Gefühl des Theaters her-
aus gearbeitet war. Genau ge-
Kunstwart XXIII, 9