Musik
Aus dem Musikleben der
Gegenwart
^»nter diesem Titel hat Leopold
^k-Schmidt seine kritischenAufsätze
aus dem letzten Iahrzehnt seiner
musikschriftstellerischcn LLtigkeit zu
einem stattlichen Band vereinigt.
Der Vcrfasser gehört zu deu regel-
mäßigen Mitarbeitern des Kunst-
warts, wir wolleu ihn also, unsrer
Gepflogenheit treu, nicht beurtei-
len. Zudem ist sein öffentlicher
Charakter genugsam bekannt, seine
Mittelstellung zwischen den Par-
teien, zwischen den älteren Meistern,
dencn sein Hcrz gehört, und den
Modernen, deren Sturmschritt er
mit bedächtigem Wohlwollen folgt.
Es genügt hier, unsern Lesern das
Erscheinen des Buches (Verlag
A. Hofmann L Co. in Berlin) an-
zuzeigen.
Einige Feststellungen des viel-
erfahrenen Musikers hervorzuheben
kann ich mir aber nicht versagen. Zu
den Unzufriedenen gehört er uicht.
„Nie vorher ist so viel gute Musik
öffentlich zur Ausführung gelaugt,
niemals früher sind die Meister-
werke der Tonkunst so häufig und so
leicht breiteren Massen zugänglich
gemacht wordcn." Die Schuld an
der Aberfülle der Konzerte mißt
Schmidt nicht den Agenturen zu.
„DerVorteil desWegbahnens kommt
freilich dem Stümper und dem
Genie zustatten. Wie die Verhält-
nisse liegcn, glaube ich indessen,
daß auch die Unbequemlichkeit die
Ehrgeizigen nicht abschrecken würde.
Viel gerechtcr wohl trifft die Konser-
vatorien der Vorwurf, ganze Genc-
rationen heranzubilden, die zwischen
Dilettantismus und Künstlertum
steckenbleiben. Solauge die musi-
kalische Erziehuug nicht vorwiegend
auf das Musizieren im Hause und
zur eigenen Erbauung, sondern aus-
schließlich auf praktische Ziele gerich-
tet wird, ist das Drängen an die
Öffentlichkeit eine unausbleibliche
Folge." „Ein Musikkonsum, wie
ihn die Gegenwart aufweist, ist nicht
normal, er profanicrt den Kunst-
genuß und entwertct die Stelle, die
er in unserm Leben haben sollte."
„Das viele Hören, die Kenntnis-
nahme des Alltäglichen, auch des
Minderwertigcn, stimmt milde und
macht erst recht dankbar für alles,
was nach irgendeiner Richtung
hin das Durchschnittsmaß überragt.
Gerade wer nur dem Großen ge-
legentlich sich hingibt, ist abspre-
chend gegen das Kleine. Amge-
kehrt lehrt das Ringen, selbst das
vergebliche, erst die Schwierigkeiten
einer Kunst und was es heißt, sie
zu überwiuden, so recht erkennen.
Mir wenigstens gcht es so, daß ich
das Schöne intensiver empfinde, und
selbst den Willen dazu nicht leicht
übersehe, je schärfer ich das irgeud»
wie Bedeutsame gcgen die er-
drückende Masse des Unzulänglichen
abzugrenzen habe." „Was Deutsch-
lauds musikalische Verhältnisse so
schwierig gemacht hat, ist das Fehlen
des »Salons«. Frankreich, mchr
noch England kennen ihn. In diesen
Ländern bietet der Salon dem
(reproduzierenden) Künstler das Feld
der Betätigung und die Gelegen-
heit zum Gclderwerb, und für die
größere Öffentlichkeit bleibt, was
sich wirklich für sie eignet. Bei uns
wird nur zu häufig der Künstler
ausgenützt, und vergebens sucht man
die durch Stellung und Neichtum
ausgezeichneten Familien, die es
sich, wie einst die Aristokratie in
österreich, zur Pflicht und zur Ehre
rechneten, ihre Häuser zu Heimstätten
dcr Virtuosen, zu einem Nährboden
aufstrebender Kunst zu machen. So
wird alles, sehr Zum Schaden der
Gesamtheit, auf den Markt getrie-
ben." „In der Seele des Kritikers
von Beruf streiten beständig der
202
Kunstwart XXIII, 9
Aus dem Musikleben der
Gegenwart
^»nter diesem Titel hat Leopold
^k-Schmidt seine kritischenAufsätze
aus dem letzten Iahrzehnt seiner
musikschriftstellerischcn LLtigkeit zu
einem stattlichen Band vereinigt.
Der Vcrfasser gehört zu deu regel-
mäßigen Mitarbeitern des Kunst-
warts, wir wolleu ihn also, unsrer
Gepflogenheit treu, nicht beurtei-
len. Zudem ist sein öffentlicher
Charakter genugsam bekannt, seine
Mittelstellung zwischen den Par-
teien, zwischen den älteren Meistern,
dencn sein Hcrz gehört, und den
Modernen, deren Sturmschritt er
mit bedächtigem Wohlwollen folgt.
Es genügt hier, unsern Lesern das
Erscheinen des Buches (Verlag
A. Hofmann L Co. in Berlin) an-
zuzeigen.
Einige Feststellungen des viel-
erfahrenen Musikers hervorzuheben
kann ich mir aber nicht versagen. Zu
den Unzufriedenen gehört er uicht.
„Nie vorher ist so viel gute Musik
öffentlich zur Ausführung gelaugt,
niemals früher sind die Meister-
werke der Tonkunst so häufig und so
leicht breiteren Massen zugänglich
gemacht wordcn." Die Schuld an
der Aberfülle der Konzerte mißt
Schmidt nicht den Agenturen zu.
„DerVorteil desWegbahnens kommt
freilich dem Stümper und dem
Genie zustatten. Wie die Verhält-
nisse liegcn, glaube ich indessen,
daß auch die Unbequemlichkeit die
Ehrgeizigen nicht abschrecken würde.
Viel gerechtcr wohl trifft die Konser-
vatorien der Vorwurf, ganze Genc-
rationen heranzubilden, die zwischen
Dilettantismus und Künstlertum
steckenbleiben. Solauge die musi-
kalische Erziehuug nicht vorwiegend
auf das Musizieren im Hause und
zur eigenen Erbauung, sondern aus-
schließlich auf praktische Ziele gerich-
tet wird, ist das Drängen an die
Öffentlichkeit eine unausbleibliche
Folge." „Ein Musikkonsum, wie
ihn die Gegenwart aufweist, ist nicht
normal, er profanicrt den Kunst-
genuß und entwertct die Stelle, die
er in unserm Leben haben sollte."
„Das viele Hören, die Kenntnis-
nahme des Alltäglichen, auch des
Minderwertigcn, stimmt milde und
macht erst recht dankbar für alles,
was nach irgendeiner Richtung
hin das Durchschnittsmaß überragt.
Gerade wer nur dem Großen ge-
legentlich sich hingibt, ist abspre-
chend gegen das Kleine. Amge-
kehrt lehrt das Ringen, selbst das
vergebliche, erst die Schwierigkeiten
einer Kunst und was es heißt, sie
zu überwiuden, so recht erkennen.
Mir wenigstens gcht es so, daß ich
das Schöne intensiver empfinde, und
selbst den Willen dazu nicht leicht
übersehe, je schärfer ich das irgeud»
wie Bedeutsame gcgen die er-
drückende Masse des Unzulänglichen
abzugrenzen habe." „Was Deutsch-
lauds musikalische Verhältnisse so
schwierig gemacht hat, ist das Fehlen
des »Salons«. Frankreich, mchr
noch England kennen ihn. In diesen
Ländern bietet der Salon dem
(reproduzierenden) Künstler das Feld
der Betätigung und die Gelegen-
heit zum Gclderwerb, und für die
größere Öffentlichkeit bleibt, was
sich wirklich für sie eignet. Bei uns
wird nur zu häufig der Künstler
ausgenützt, und vergebens sucht man
die durch Stellung und Neichtum
ausgezeichneten Familien, die es
sich, wie einst die Aristokratie in
österreich, zur Pflicht und zur Ehre
rechneten, ihre Häuser zu Heimstätten
dcr Virtuosen, zu einem Nährboden
aufstrebender Kunst zu machen. So
wird alles, sehr Zum Schaden der
Gesamtheit, auf den Markt getrie-
ben." „In der Seele des Kritikers
von Beruf streiten beständig der
202
Kunstwart XXIII, 9