Lebens ins Wanken, die auf ihnen ruhten. Tracht, Sitte und Brauch
schwanden, ohne daß das Volkstum die Kraft gehabt hätte, Veues
an Stelle des Alten zu setzen. Es war zu sehr von einem ihm fremden
Geiste angekränkelt; seine besten Kräfte lagen brach und seine lebens-
kräftigen Instinkte, die früher so sicher gearbeitet und Gebilde von
wunderbarer Eigenart, Schönheit und Stärke geschaffen hatten, fanden
sich in den neuen Verhältnissen nicht mehr zurecht.
Diese große Krisis stellte der Pflege des religiösen Lebens ganz
neue Aufgaben. Sie wurden nicht sogleich erkannt. Sie werden auch
heute noch von vielen nicht gesehen, die zu ihrer Lösung berufen wären.
Die Kirche als Ganzes war nicht elastisch genug, um sich den neuen
Verhältnissen sofort anpassen zu können; sie blieb auch hier, wie
in der sozialen Amgestaltrrng des Volkes, hinter dcr Entwicklung
zurück. Man kann das sehr leicht verstehen; mußte doch ihren
Srganen zumeist ein genügendes Verständnis für die Nöte und Be-
drängnisse fehlen, in welche die volkstümliche Frömmigkeit durch das
Hereinbrechen einer neuen Zeit geraten war. Hätten die Geistlichen
noch wie ein Iahrhundert früher innige Fühlung mit dem Volks-
tum gehabt, so hätten sie rechtzeitig das Notsignal geben können.
Nun war die bittere Erfahrung da. Es ist nicht übertrieben, wenn
ein Geistlicher von heute die Lage mit diesen Worten kennzeichnet:
^Wir wurden als Pfarrer, Lehrer, als Leiter und Erzieher irgend-
welcher Art in eine Welt geschickt, deren inneres Leben uns völlig
unbekannt war. Iahre- oder jahrzehntelang wußten unser viele nicht,
wo sie waren, nicht, was sie taten. Ein Missionar ist heute besser für
die Heiden vorbereitet, als wir mit unsrer Aniversitäts- und Seminar-
bildung, mit unserm persönlichen Erleben und Kämpfen für die Bauern.
Ein Missionar ist mit mehr Duldung für Brauch und Sitte dcs
fremden Landes ausgerüstet, als wir für den heimischen Brauch uusrer
Väter, in dem sich ein christlich Volk seine eigene Kirche in Iahr-
hunderten erbaut hat. In allen fremden, verschollenen Religionen
sind wir zu Hause, nur nicht da, wo wir stehen, nur nicht im Glaubeu
und Lieben des eigenen Dorfes. Ie wahrhaftiger persönlich überzeugt,
je heiliger glühend wir an unsre Arbeit gingen, um so mehr fuhren
wir oft zerstörend hinein, und alle spätere Erkenntnis und Reue
machte die Verwüstung an dem akten Heiligtum nicht wieder gut.
And da wir eben erwachen, sehen wir jede neue Generation ebenso
rettungslos wieder ihre schönsten Kräfte und Iahre ungewarnt und
unberaten verschleudern. . . . Nnterdes bricht ein Stein nach dem
andern aus dem alten Gemäuer der Dorfkirche heraus. Die Dorf-
leute brauchen all ihre Kräfte bei der Not der Landflucht, bei der
Aneignung der hereinströmenden, ganz neuen wirtschastlichen und
geistigen Kultur. Sie haben keine Zeit mehr, in die Tiefe, in sich
selbst zu gehen. Die Steine auf unsern Friedhöfen wie an Haus-
und Kirchenbauten schreien uns in die Ohren eine erschreckende, hohle
Scheinkultur. Nnd wir glauben, daß es im Innern anders aussicht?
Ist nicht alles nur Ausdruck des Innern? Es kann nicht anders sein.
Diese ganze neue Kultur, die unaufhaltsam jetzt in die Dörfer ein-
zicht, ist nirgends so gefährlich, muß nirgends zu einer so erschüt-
ternden inneren Krisis führen wie in der Dorfkirche. Denn sie ist
2. Fcbruarheft MO 227
schwanden, ohne daß das Volkstum die Kraft gehabt hätte, Veues
an Stelle des Alten zu setzen. Es war zu sehr von einem ihm fremden
Geiste angekränkelt; seine besten Kräfte lagen brach und seine lebens-
kräftigen Instinkte, die früher so sicher gearbeitet und Gebilde von
wunderbarer Eigenart, Schönheit und Stärke geschaffen hatten, fanden
sich in den neuen Verhältnissen nicht mehr zurecht.
Diese große Krisis stellte der Pflege des religiösen Lebens ganz
neue Aufgaben. Sie wurden nicht sogleich erkannt. Sie werden auch
heute noch von vielen nicht gesehen, die zu ihrer Lösung berufen wären.
Die Kirche als Ganzes war nicht elastisch genug, um sich den neuen
Verhältnissen sofort anpassen zu können; sie blieb auch hier, wie
in der sozialen Amgestaltrrng des Volkes, hinter dcr Entwicklung
zurück. Man kann das sehr leicht verstehen; mußte doch ihren
Srganen zumeist ein genügendes Verständnis für die Nöte und Be-
drängnisse fehlen, in welche die volkstümliche Frömmigkeit durch das
Hereinbrechen einer neuen Zeit geraten war. Hätten die Geistlichen
noch wie ein Iahrhundert früher innige Fühlung mit dem Volks-
tum gehabt, so hätten sie rechtzeitig das Notsignal geben können.
Nun war die bittere Erfahrung da. Es ist nicht übertrieben, wenn
ein Geistlicher von heute die Lage mit diesen Worten kennzeichnet:
^Wir wurden als Pfarrer, Lehrer, als Leiter und Erzieher irgend-
welcher Art in eine Welt geschickt, deren inneres Leben uns völlig
unbekannt war. Iahre- oder jahrzehntelang wußten unser viele nicht,
wo sie waren, nicht, was sie taten. Ein Missionar ist heute besser für
die Heiden vorbereitet, als wir mit unsrer Aniversitäts- und Seminar-
bildung, mit unserm persönlichen Erleben und Kämpfen für die Bauern.
Ein Missionar ist mit mehr Duldung für Brauch und Sitte dcs
fremden Landes ausgerüstet, als wir für den heimischen Brauch uusrer
Väter, in dem sich ein christlich Volk seine eigene Kirche in Iahr-
hunderten erbaut hat. In allen fremden, verschollenen Religionen
sind wir zu Hause, nur nicht da, wo wir stehen, nur nicht im Glaubeu
und Lieben des eigenen Dorfes. Ie wahrhaftiger persönlich überzeugt,
je heiliger glühend wir an unsre Arbeit gingen, um so mehr fuhren
wir oft zerstörend hinein, und alle spätere Erkenntnis und Reue
machte die Verwüstung an dem akten Heiligtum nicht wieder gut.
And da wir eben erwachen, sehen wir jede neue Generation ebenso
rettungslos wieder ihre schönsten Kräfte und Iahre ungewarnt und
unberaten verschleudern. . . . Nnterdes bricht ein Stein nach dem
andern aus dem alten Gemäuer der Dorfkirche heraus. Die Dorf-
leute brauchen all ihre Kräfte bei der Not der Landflucht, bei der
Aneignung der hereinströmenden, ganz neuen wirtschastlichen und
geistigen Kultur. Sie haben keine Zeit mehr, in die Tiefe, in sich
selbst zu gehen. Die Steine auf unsern Friedhöfen wie an Haus-
und Kirchenbauten schreien uns in die Ohren eine erschreckende, hohle
Scheinkultur. Nnd wir glauben, daß es im Innern anders aussicht?
Ist nicht alles nur Ausdruck des Innern? Es kann nicht anders sein.
Diese ganze neue Kultur, die unaufhaltsam jetzt in die Dörfer ein-
zicht, ist nirgends so gefährlich, muß nirgends zu einer so erschüt-
ternden inneren Krisis führen wie in der Dorfkirche. Denn sie ist
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