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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 11 (1. Märzheft 1910)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0409
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ihn stolpern und straucheln lassen.
Nichts ist so schwer wiederzuer-
langen wie Einfachheit. Doch der
„Lristinas Heimreise" geschrieben
hat, sehnt sich, scheint mir, und
trachtet danach, gleich manchem
andern der Streben-en. Und so
entläßt uns der Abend mit Hoff--
nungen, nicht bloß für diesen ein°
zelnen, dem das bisher in hitziger
Verzückung angestaunte „Künst-
liche" sich zu lichten beginnt, son-
dern als tröstliches Shmptom für
die jüngere Dramatikergencration
überhaupt, dem von hier und da
schon ähnliches antwortet. Noch
manchen sonst, der sich an Fremdes
und bloß Artistisches verloren,
könnte eine solche „Heimreise" zur
Genesung führen.

Friedrich Düsel

Wiener Theater

ngesichts der neuen Stücke, die
aus aller Herren Ländern tag-
aus und tagein über die Wiener
Bühnen hasten, kommt man sich
vor wie ein australischer Gold-
wascher. Wieviel Schwemmsand
muß man aü sich vorbeispülen
lassen, um endlich auf ein Körn-
lein Gold zu stoßen!

Solch ein Goldkörnlein scheint
mir Thaddäus Rittners nene
Komödie „Der dumme Iakob"
zu sein. Ihre Stärke liegt nicht
in der Führung der Handlung,
sondern in der ungemein feinen
und lebensechten Milieuschilderung.
Diese läßt auch verheißungsvolle
Ansätze zur psychologisch vertief-
ten Lharakterkomödie erkennen. Ein
adliges Gut ist der Ort der Ge-
schehnisse, und was geschieht, ist
nicht viel mehr, als daß der Guts-
herr, ein alter Hagestolz, das Opfer
seines Iohannistriebes wird nnd
zum Ärger seiner Verwandten sich
verheiratet. Seine besten Iahre sind
darauf gegangen, um das verkrachte

Gnt seiner Ahnen wieder in die
Höhe zu bringen. Nun aber, da
er sich endlich des Genusses seines
lastenfreien Besitzes erfreuen könnte,
fühlt er sich verlassen und von
den kalten Freuden eines Lebens
ohne Arbeit angefröstelt. Auch die
Verwandten, mit denen er sich um-
gibt, können ihm nicht über das
Gefühl seiner inneren Vereinsa-
mung hinweghelfen; im Gegenteil:
sie steigern es nur durch ihre müßig-
gängerische Selbstsucht. Von ihnen
rettet sich der Rest von Shmpathien,
die er für Menschen überhaupt
noch aufzubringen vermag, zu Lisa,
seiner jungen Vorleserin. In die
ist aber auch Iakob verschossen,
der junge Verwalter des Gutes,
den sich der alte Herr als seinen
unehelichen Sohn hat aufschwatzen
lassen. Iakob ist so „dumm", ihm
zu gestehen, daß ein andrer sein
wirklicher Vater ist, und Lisa hatte
doch all ihr Hoffen auf den künf-
tigen Erben des Gutes gesetzt! Nun
diese Hoffnung zunichte, willigt die
schlaue Abentcurerin endlich in die
Werbung des Alten und tröstet
sich damit, Iakob werde wenigstens
ihr Geliebter Lleiben. Der aber
ist zu ehrlich, um seinen Herrn
zu betrügen, er tritt aus dem
Dienst und die zweimal um ihre
Hoffnung geprellte Spekulantin muß
in den sauren Apfcl einer Ehe
beißen, die durch keinen dritten
im Bunde versüßt wird. Wohl
weiß der alte Herr, daß Lisa die
Sehnsucht nach einem andern im
Herzen trägt und er ahnt auch,
daß ihm dereinst das fatale Los
eines Hahnreis nicht erspart blei-
ben wird. Dennoch nimmt er sie,
um sich vor Torschluß noch einen
Zipfel von dem Liebesglück zu ret-
ten, das er bisher versäumt hat.

Die Welt steckt voll Lug und
Trug, und wenn ausnahmsweise
einer wähnt, sich mit Offenheit und

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