die Redc, das Wort ins Gebiet der Kunsttätigkeit. Man erhebt sich
über seinen Zustand, man befreit sich von Empfindung und Affekt im
selben Maße, als man sic andrcn mitteilbar macht. Man spielt, man
schauspielert.
Vom Äberzeitlichen und dem Noman
(bei Gelegenheit der neuen Nomane von H. Stehr und E. v.Handel-Mazzetti)
s^Der Roman ist das Stiefkind dcr Asthetiker. Man will ihm im
Bereich dcr reinen und großen Kunst nicht recht seincn Plaiz gönnen. And
warum nicht? Weil cr allzusehr zcitlich bedingt, weil er von Erden-
schwere belastet sei, also daß spätere Geschlechter ihn nicht mehr verstehen
könnten aus seincn Bedingungen heraus; weil er Wisscn vcrmittlc, das
nach den Zeitcn immer verschieden sei, weil er keinen Zwang zur Form
habe; er muß, so meint man, schneller vergehen als scine Rivalen.
Aber eine Kunst, die nicht irgendwie zeitlich bedingt wäre, gibt es ja
überhaupt nicht, und wenn das Allzuirdische in der Kunst sich breit
macht, machc man den Künstler dafür verantwortlich, nicht dic Gattung!
Auch das Epos oder das Lehrgedicht haben „Wissen vermittelt", „immer
verschieden nach den betreffenden Zeiten"; das naturalistischc Drama war
von alltäglichcr Erdenluft so geschwängert, daß kein Roman es je darin
übertreffen kann; und es gehört doch wohl cinige Keckheit dazn, cs darum
zu verdammen.
Ia, erwidert man nun, absolut darf man diese Urteile freilich nicht
nchmen; es kann sich nur um ein Mehr oder Weniger, nicht um ein Ia
oder Nein handcln; mehr als die andern Kunstwerke ist der Roman
von Zcitlichem bcdingt, von Erdcnschwere belastet. Auch solche Voraus-
setzung nimmt hier das Bedenkliche nicht. Man konstruiert sich „die Form"
als Bcgriff und gibt ihr allerhand Eigenschaften und reale Wirkungen,
obwohl dic Form jederzeit etwas nur aus dcn vorhandencn Dichtungen
Abstrahiertes und immer neu zu Abstrahiercndes ist.* Man behauptet
Allgemeines, währcnd füglich nur behauptet werden kann, daß es ncben
echt künstlerischcn Romanen stets minderwertige gegeben, und etwa noch,
daß deren Zahl im letzten halben Iahrhundcrt zugcnommen hat. Aber-
lassen wir diese ihrcm verdienten Untergang, möge er nun durch Zeit-
bcdingtheit, Erdenschwere oder die Anfähigkcit ihrer Schöpfer eintrcten!
And geheu wir von der Verneinung zur Bcjahung über: „Wie kann im
Roman das Aberzcitliche wirksam werden?", so fragen wir. Wie kann
dcr Ballast des Momentanen, Dinglich-Irdischen scines Gewichtes ent-
kleidet und zu einer rein künstlerischen Wirkung verwertet werden? Aber-
zeitlich — dies Wort hat eincn bösen Geruch; es riecht nach Mctaphhsik.
Es soll aber hier nicht von der künstlerischen Verwendbarkeit idealistischer
Philosophicn gcrcdet, sondern nur die Möglichkcit betont wcrden, daß auch
im Roman Wirkungen gedichtet werden, die hundert odcr tausend Iahre
nach des Dichters Tode noch nicht crlahmt sind. Daß cin Ende solcher
Wirkungen irgendwann im Vcrlaufe der Iahrtausende einmal eintrete,
daß mit andern Wortcn die Zeit den Sieg über das „Aberzeitliche" doch
* Einen „Zwang zur Form", diese Abstraktion dcr Abstraktionen kann
es nach dieser Auffassung natürlich überhaupt nicht geben; jede wirkliche
Dichtung schafft sich ihre Form.
2. Märzheft >910 S7S
über seinen Zustand, man befreit sich von Empfindung und Affekt im
selben Maße, als man sic andrcn mitteilbar macht. Man spielt, man
schauspielert.
Vom Äberzeitlichen und dem Noman
(bei Gelegenheit der neuen Nomane von H. Stehr und E. v.Handel-Mazzetti)
s^Der Roman ist das Stiefkind dcr Asthetiker. Man will ihm im
Bereich dcr reinen und großen Kunst nicht recht seincn Plaiz gönnen. And
warum nicht? Weil cr allzusehr zcitlich bedingt, weil er von Erden-
schwere belastet sei, also daß spätere Geschlechter ihn nicht mehr verstehen
könnten aus seincn Bedingungen heraus; weil er Wisscn vcrmittlc, das
nach den Zeitcn immer verschieden sei, weil er keinen Zwang zur Form
habe; er muß, so meint man, schneller vergehen als scine Rivalen.
Aber eine Kunst, die nicht irgendwie zeitlich bedingt wäre, gibt es ja
überhaupt nicht, und wenn das Allzuirdische in der Kunst sich breit
macht, machc man den Künstler dafür verantwortlich, nicht dic Gattung!
Auch das Epos oder das Lehrgedicht haben „Wissen vermittelt", „immer
verschieden nach den betreffenden Zeiten"; das naturalistischc Drama war
von alltäglichcr Erdenluft so geschwängert, daß kein Roman es je darin
übertreffen kann; und es gehört doch wohl cinige Keckheit dazn, cs darum
zu verdammen.
Ia, erwidert man nun, absolut darf man diese Urteile freilich nicht
nchmen; es kann sich nur um ein Mehr oder Weniger, nicht um ein Ia
oder Nein handcln; mehr als die andern Kunstwerke ist der Roman
von Zcitlichem bcdingt, von Erdcnschwere belastet. Auch solche Voraus-
setzung nimmt hier das Bedenkliche nicht. Man konstruiert sich „die Form"
als Bcgriff und gibt ihr allerhand Eigenschaften und reale Wirkungen,
obwohl dic Form jederzeit etwas nur aus dcn vorhandencn Dichtungen
Abstrahiertes und immer neu zu Abstrahiercndes ist.* Man behauptet
Allgemeines, währcnd füglich nur behauptet werden kann, daß es ncben
echt künstlerischcn Romanen stets minderwertige gegeben, und etwa noch,
daß deren Zahl im letzten halben Iahrhundcrt zugcnommen hat. Aber-
lassen wir diese ihrcm verdienten Untergang, möge er nun durch Zeit-
bcdingtheit, Erdenschwere oder die Anfähigkcit ihrer Schöpfer eintrcten!
And geheu wir von der Verneinung zur Bcjahung über: „Wie kann im
Roman das Aberzcitliche wirksam werden?", so fragen wir. Wie kann
dcr Ballast des Momentanen, Dinglich-Irdischen scines Gewichtes ent-
kleidet und zu einer rein künstlerischen Wirkung verwertet werden? Aber-
zeitlich — dies Wort hat eincn bösen Geruch; es riecht nach Mctaphhsik.
Es soll aber hier nicht von der künstlerischen Verwendbarkeit idealistischer
Philosophicn gcrcdet, sondern nur die Möglichkcit betont wcrden, daß auch
im Roman Wirkungen gedichtet werden, die hundert odcr tausend Iahre
nach des Dichters Tode noch nicht crlahmt sind. Daß cin Ende solcher
Wirkungen irgendwann im Vcrlaufe der Iahrtausende einmal eintrete,
daß mit andern Wortcn die Zeit den Sieg über das „Aberzeitliche" doch
* Einen „Zwang zur Form", diese Abstraktion dcr Abstraktionen kann
es nach dieser Auffassung natürlich überhaupt nicht geben; jede wirkliche
Dichtung schafft sich ihre Form.
2. Märzheft >910 S7S