tersaison eine Komödie „Im Klub-
sessel" mit sehr viel Erfolg ge-
geben, in der dieses sympathische
Möbel als Ideal des menschlichen
Daseins paradiert. Glücklich zu
preisen — sagt darin der Dich-
ter — wer in begnemer Rücken-
lage, mit weit von sich gestreckten
Beinen die schönen Dinge des
Lebens zn genießen weiß! Ein
nenmodischer Philosoph hat kürzlich
sogar behauptet, daß man im Klub-
sessel ganz anders denke; die
geistige Perspektive verschiebe sich,
man schnelle gleichsam nm etliche
tansend Meter höher hinauf über
das ordinäre Sein. Alles All-
zubemerkliche des Taldaseins ver-
schwinde, die gemeine Deutlich-
keit der Dinge blasse zu einem
bloßen Bilde ab, dessen Formen
und Farben ausschließlich Freude
bereiten.
Iedenfalls bleibt die Tatsache:
wir sind ungemein bequem ge-
worden. So ein alter Fauteuil
aus der Großväterzeit zum Bei-
spiel wird dem modernen Klub-
sesselsitzer sehr unbequem erschei-
nen, und er war doch seinerzeit
das behaglichste Möbelstück, war der
Ruhe- und Feierplatz innerhalb
der vier hänslichen Wände, be°
rechnet für die Alten, denen man
ein Sich-gehen-lassen erlaubte.
Wie kommt es nun, daß man
selbst in diesem Ruhestuhl noch
„Haltung" bewahrte, daß man auch
beim bequemsten Sitzen an einer
gewissen Zeremonie festhielt, wäh-
rend wir's heute nur bequem,
nichts als bequem haben wollen?
Sollte dieser Unterschied der Be°
quemlichkeiten nur ein Zufall sein,
den man auf technische Fertig-
keiten der Tischler und Architek-
ten zurückführen könnte, sollte sich
in ihm nicht ein Stückchen Wesens-
verschiedenheit zweier Zeiten spie-
geln? Die Großväterzeit hatte
andre Gebärden der Arbeit als
wir, andre Gebärden der Unter-
haltung und des Spiels, andre
Gebärden der Kunst und andre
Gebärden des Nuhcns. Die Ab-
HLngigkeit der bürgerlichen Welt
von der Lebenskultur des Adels
brachte es mit sich, daß der Adel
in den Dingen des Geschmacks
tonangebend war. Die Gebärden
der adeligen Welt aber sagten
dazumal noch etwas oder wollten
etwas sagen: sie drückten aus, daß
in den Gliedern des vornehmen
Mannes fortwährend das Bewußt-
sein dcr Macht sein reizvolles Spiel
spiele. So ließ sich der Mensch
von adeliger Sitte nicht gern wie
ganz erschöpft in den Sessel fallen,
er vermied, wo andre sich's be°
quem machten, den Rücken anzu-
lehnen, er wollte nicht müde
scheinen, weil er es gewöhnt war,
nicht müde scheinen zu dürfen,
wenn er stundenlang bei Hof auf
seinen Füßen stand. Und so, wie
er draußen, außerhalb seines
Hauses, unter Menschen, in Ge-
sellschaft, im Dienst die Bequem-
lichkeit verschmähte, so richtete er
auch sein Haus nicht in erster
Linie auf das rein Bequcme ein,
sondern großräumig und würde-
voll, wie zu einem Aufenthalt
größerer (und höherer) Wesen.
Sind die Königsschlösser, die alten
Paläste etwa auf Bequemlichkeit
gebaut? Für unsern Geschmack
ist da alles zu groß, zu weit, wie
eine riesige Rüstung, in die der
schmale Körper nicht paßt, um
bürgerlich zu sprechcn: „ungemüt-
lich". Die alten Barockpaläste for-
dern von ihrem Bewohner immer-
während „Haltung". Man war
gewohnt, stets den Anschein einer
beständig gegenwärtigen physischen
Kraft zu wahren, wie man durch
beständige Heiterkeit und Verbind-
lichkeit, selbst in peinlichen Lagen,
U2
Kunstwart XXIII, (2
sessel" mit sehr viel Erfolg ge-
geben, in der dieses sympathische
Möbel als Ideal des menschlichen
Daseins paradiert. Glücklich zu
preisen — sagt darin der Dich-
ter — wer in begnemer Rücken-
lage, mit weit von sich gestreckten
Beinen die schönen Dinge des
Lebens zn genießen weiß! Ein
nenmodischer Philosoph hat kürzlich
sogar behauptet, daß man im Klub-
sessel ganz anders denke; die
geistige Perspektive verschiebe sich,
man schnelle gleichsam nm etliche
tansend Meter höher hinauf über
das ordinäre Sein. Alles All-
zubemerkliche des Taldaseins ver-
schwinde, die gemeine Deutlich-
keit der Dinge blasse zu einem
bloßen Bilde ab, dessen Formen
und Farben ausschließlich Freude
bereiten.
Iedenfalls bleibt die Tatsache:
wir sind ungemein bequem ge-
worden. So ein alter Fauteuil
aus der Großväterzeit zum Bei-
spiel wird dem modernen Klub-
sesselsitzer sehr unbequem erschei-
nen, und er war doch seinerzeit
das behaglichste Möbelstück, war der
Ruhe- und Feierplatz innerhalb
der vier hänslichen Wände, be°
rechnet für die Alten, denen man
ein Sich-gehen-lassen erlaubte.
Wie kommt es nun, daß man
selbst in diesem Ruhestuhl noch
„Haltung" bewahrte, daß man auch
beim bequemsten Sitzen an einer
gewissen Zeremonie festhielt, wäh-
rend wir's heute nur bequem,
nichts als bequem haben wollen?
Sollte dieser Unterschied der Be°
quemlichkeiten nur ein Zufall sein,
den man auf technische Fertig-
keiten der Tischler und Architek-
ten zurückführen könnte, sollte sich
in ihm nicht ein Stückchen Wesens-
verschiedenheit zweier Zeiten spie-
geln? Die Großväterzeit hatte
andre Gebärden der Arbeit als
wir, andre Gebärden der Unter-
haltung und des Spiels, andre
Gebärden der Kunst und andre
Gebärden des Nuhcns. Die Ab-
HLngigkeit der bürgerlichen Welt
von der Lebenskultur des Adels
brachte es mit sich, daß der Adel
in den Dingen des Geschmacks
tonangebend war. Die Gebärden
der adeligen Welt aber sagten
dazumal noch etwas oder wollten
etwas sagen: sie drückten aus, daß
in den Gliedern des vornehmen
Mannes fortwährend das Bewußt-
sein dcr Macht sein reizvolles Spiel
spiele. So ließ sich der Mensch
von adeliger Sitte nicht gern wie
ganz erschöpft in den Sessel fallen,
er vermied, wo andre sich's be°
quem machten, den Rücken anzu-
lehnen, er wollte nicht müde
scheinen, weil er es gewöhnt war,
nicht müde scheinen zu dürfen,
wenn er stundenlang bei Hof auf
seinen Füßen stand. Und so, wie
er draußen, außerhalb seines
Hauses, unter Menschen, in Ge-
sellschaft, im Dienst die Bequem-
lichkeit verschmähte, so richtete er
auch sein Haus nicht in erster
Linie auf das rein Bequcme ein,
sondern großräumig und würde-
voll, wie zu einem Aufenthalt
größerer (und höherer) Wesen.
Sind die Königsschlösser, die alten
Paläste etwa auf Bequemlichkeit
gebaut? Für unsern Geschmack
ist da alles zu groß, zu weit, wie
eine riesige Rüstung, in die der
schmale Körper nicht paßt, um
bürgerlich zu sprechcn: „ungemüt-
lich". Die alten Barockpaläste for-
dern von ihrem Bewohner immer-
während „Haltung". Man war
gewohnt, stets den Anschein einer
beständig gegenwärtigen physischen
Kraft zu wahren, wie man durch
beständige Heiterkeit und Verbind-
lichkeit, selbst in peinlichen Lagen,
U2
Kunstwart XXIII, (2