Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1911)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0081
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
losen Weserr in eirrerr Korb urrd
deckte ihnen dort den Kopf rnit einern
Tuche zu. Wenn das noch nicht
„half", so gab sie als Nahrung so
lange Reiswasser statt Milch, bis
der mitleidigere Sensenmann alle
Wünsche befriedigte. Iahrelang
konnte derartiges geschehen, ohne
daß irgendein Organ der Vor-
mundschaft das Treibcrr unmöglich
machte. Die Arbcit dcr Schwur-
gerichte hinterher ist auch meist er-
geonislos, da dcn Geschworenen der
Beweis fehlt, den mit Sicherheit
zu führen rccht selten möglich ist.
Berufsverbrecher sind meist leichter >
zu überführen, da ihnen oft das
Gewissen einen Strcich spielt. Aber
die Engelmacherin mordet dieKost-
kinder mit dem besten Gewissen von
der Welt, just wie einst der Spar-
taner im Tahgetos. Führen wrr
gegen diesen Abschaum der wcib-
lichen Bevölkerung unsere jurrgen,
berufsfreudigen Iuristinnen als Be-
rufsvormünder irrs Fcld; sie wcrdcn
es behaupten!

Mit dem Vormundschaftsrichter
ziehen sie ins Iugendgcricht ein.
Dort reißen sie der vergeltungs-
lustigen Iustitia dic Binde von den
Augen und zeigen ihr die Schuld,
wo sie wirklich ist. Sie zeigen ihr,
daß dcr jugcndliche Rcchtsverletzer
keiner geworden wäre, hätte man
ihn erzogen. Erzogen mit so
viel Liebe urrd Freundlichkeit, wie
dem Richter und seinen Schöffen
echte Mütter sie erwiesen haben.
In das Dämmerleben dieser Kin-
der schaute nur jcne Karikatur der
Mutterliebe, deren Erziehungs-
künste in dem sinn- und vorwurfs-
reichen Scheltworte: „Ihr Brotesser"
gipfelten. Genau angeschaut, diese
Kirrdheit! Scharf gegenübergestellt,
Auge in Auge, — wenn ihr könnt!
Darrn sprecht schuldig, — wenn ihr
noch mögt. And dennoch keine
schwächliche Iustiz! Wcnn wir iricht

strafen dürfen und können, so
müssen wir doch b ehandeln. Der
Vorentwurf des neuen Strafgesetz-
buchs zeigt da dem Iugendrichter
einen ganz guten Weg:

„Erscheint die Tat hauptsächlich
als Folge mangelhafter Erziehung
oder ist sonst anzunehmen, daß Er-
ziehungsmaßregeln erforderlich sind,
um den Täter an ein gesetzmäßiges
Leben zu gewöhnen, so kann das
Gericht nebcn oder an Stelle einer
Freiheitsstrafe seine Äberweisung
zur staatlich überwachten Erziehung
anordnen."

Das Gesetz aber sagt dem Iugend-
richter nicht, unü nimmer wird ihm
ein Gesetz sagen können, wann eine
Erziehung mangelhaft war, ob und
wie sie noch ersetzbar ist. Das möge
ihm seine „Gehilfin" sagen, der
weibliche Berufsvormund, zugleich
Iugerrdanwalt. Mag die Anklage-
behörde die Tat aufklären und er-
mitteln, was gescheherr ist. Der
Iugendanwalt muß feststellen, wie
die Tat inncrlich werden konnte,
welche sozialen, welche erziehlichen,
wclche gesundheitlichen Gründe zu
ihr hinführten. Wie der Arzt die
Krankheit erforscht, so muß er for-
schen und auch an die Heilmittel
denken. In Fortsetzung der Auf-
gaben, welche sie als Berufsvor-
mund erfüllte, wird die zum
Iugendanwalt gewordene Iuristin
des zu behandelnden Kindes Natur
studieren, sie wird die Erziehungs-
maßnahmen vermitteln oder selbst
leiten, sie wird es nicht rnehr los
lassen, so lange es ihrer bedarf.
Schon jetzt erfüllen bei den meisten
Iugendgerichten Frauen im Ehren-
amte einen Teil dieser Aufgaben.
Sie unterstützen den Richter durch
Ermittelungen vor dem Urteil und
durch Abernahme der Schutzgewalt
über das Kind nach dem Arteil.
Es sind freiwillige Kräfte, die sich
zur Unterstützung des Iugendge-

h Aprilheft

65
 
Annotationen