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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

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Heft 18
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0486
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Während nun die fröhliche
Wanderschaft — anders als in der
Zeit des Clandiusschen Urians —
so oft besungen und immer noch
nicht ausgesungen worden ist, hat
die Musik bisher der Entwicklung
der modernen Verkehrsmittel leider
nicht folgen können. Dies erscheint
um so seltsamer, als die Musik mit
den verschiedenen Arten des Rei--
sens durch ihre Fähigkeit, Bewe--
gungsgcfühle darzustellen, in naher
Beziehung steht. Alle Welt reist
auf der Bahn, auf dem Rad, auf
dem Auto, zu Schiff, im Luftbal-
lon und Aroplan. Abcr unsre
Komponisten wandern noch immer
per peäes ^postolorum oder, wenn

schade, daß Richard Wagner, der
uns im „Ring" so suggestiv sein
Motiv der Fahrtenlust geschenkt
hat, nicht auch den Entwurf seines
„Wieland" ausgeführt hat. Er,
wenn irgerrdeiner, hätte die Frau
Musika auch noch das Fliegen ge°
lehrt. Die Zeppelinbegeisterung hat
es leider nicht vermocht. Nur das
„Glitschen in Blut" hat man der
Lonkunst in der „Elektra" glücklich
noch beigebracht. Immerhin etwas.
Im übrigen ergeht es ihr fast so
wie dem Don Quichotte auf dem
Clavileno. Er glaubt das Weltall
zu durchmessen und sitzt immer auf
dem nämlichen Fleck. Wird sie in
hundert Iahren auch noch einzig

tzolzschnitt nach Franz Pocci

es hoch kommt, fahren sie zu Wa-
gen am allerlicbsten mit der Post,
da habcn sie doch das Horn des
Schwagers, an das sie sich klam-
mern können. Aber lockt es denn
keinen, die Eigenart jener Bewc-
gungsempfindungcn musikalisch an°
zuschauen und nachzugestalten?
Welche Kunst wäre dazu wohl mehr
berufen? Alle die Lustgefühle des
Rollens, Gleitens, Schwebens —
könnten wir sie nicht durch die
Musik phantasiemäßig auskosten?
Auch wenn wir physisch daran bc°
hindert wären? Die Komponisten
werden verlegen. Sie stehen plötz-
lich vor einem Problem. Muß
ihnen vielleicht wieder der Dich-
ter — wie so oft! — zu Hilfe kom-
men? Fast scheint es so. Schade,

auf Schusters Rappen reisen kön-
nen? Diese Frage kann die Fort-
schrittler sehr beschäftigen. Die
Konservativen aber werden die
Musik am Ende gerade darum
preisen, weil sie inmitten der täg-
lich sich vermehrenden Möglich-
keiten der künstlichen Fortbewe-
gung den Sinn für die einfachste,
natürlichste, poctischeste Art des
Reisens, für die Fußreise „am
frischgeschnittenen Wanderstab" er°
hält und die Freude an der „freien
Burschenlust" des Wanderns nicht
untergehen lassen mag. B

Poccische Bildchen

Strich und Schnitt

in

S

trich und Schnitt — wir Heuti-
gen sehen kaum einen Anter-

2. Iuniheft M

395

Vildende Krmst
 
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