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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

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Heft 18
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0501
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Konstruktion so wunderlich von dem
Bilde absticht, das sehnendes
Suchen sich daheim jahrelang von
der ewigen Stadt ersann. Bald
abcr trieb es uns zum Kolosseum,
dessen weiße Steine der Mond mit
zauberischem Glanz übersilberte."

Wenn man so will, gilt es also,
natürlich zu schreiben. Den Zweck
nicht in der Befreiung der Seele —
man sollte mindestens versuchen,
eine „Befreiung" dieser Art über--
haupt nicht nötig zu haben — und
noch weniger in der historischen
Akribie zu suchen, sondern in der
Unterstützung des Gedächtnisses, die
auch der Gedächtnisstärkste meist

im Cafehaus am Corso mit all
ihren landestümlichen Akzidentien
beschreibt kein Sang, kein Helden--
buch. Und doch geben meist kleine,
oft anekdotische Erlebnisse die
Stimmung für Tage an, und
haben selbst unsre großen Erlebnisse
in irgendeinem bestimmten Blick,
einem aufgcfangenen Ton, einem
Gesprächbruchstück, einem Augen--
^blick der Besinnung ihren Höhe--
punkt, ihren Schlüssel, sozusagen
iihren Kometenkern.

Ist also ein Rat erlaubt, so suche
man allabendlich solche konzentrier--
ten, heimlich herrschenden Schlüssel-
erlebnisse aus der Tageserinnerung

Zrichnung von Franz Pocci

nicht entbehren kann. Da wir aber
alle sowohl poetische Literatur wie
Reportage aus Zeitungen im Kopfe
haben, ist das natürliche Schreiben
just das Schwerste. Lndlich, wenn
es sogar jemand kann, so wisscn
doch viele nicht, wie sie den Gegen-
stand herausfinden sollen, der zur
Niederschrift geeignet ist. Sie wäh-
len das „Wichtigste". And gerade
damit das Unnötige. Denn das
Kolosseum, die Engelsburg, die
Sirtina — alle Berühmtheiten in
Stein und Farbe beschreibt ihnen
ja ein kunsthistorisches Buch und
sogar Baedeker besser. Aber den
Lazzarone am Weg, der einen
Soldo erbettelt und dafür die
Gnade der Himmelskönigin auf den
Geber herabfleht, die drei Stunden

zu erhaschen: sie werden es sein,
die in späteren ärmeren Stunden
Licht über Vergangenheiten breiten
wie jene sagenhaften Diamanten in
der Nacht noch Taglicht spenden.
Sie zu halten ist allcrdings ost
nicht leicht, besonders wenn man
übermüdet ist. Abcr es ist loh-
nend. And ein solches Reisctage-
buch ist wie ein Schmuck von Per-
len, Bern- und Edelsteinen, von
denen jeder an Mcerküsten, ferne
Länder, Sturm und Sonnenschein,
an erdgeschichtliche Gewalten ge°
mahnt, die sie gebildet, und an die
Völker und Menschen, die sie ge°
funden und zum ersten Male ge°
nannt haben. S


Kunstwart XXIV, s8
 
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