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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,2.1912

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Heft 7 (1. Januarheft 1912)
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Avenarius, Ferdinand: Geselligkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.9026#0015
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Iahrg. 25 Erstes Ianuarhest 1912 Heft 7

Geselligkeit

^l^eder weiß davon, wie der gute Nasreddin einen europäischen Ball
besah. Er verwunderte sich. Gesragt, warum: „Weil sie alle rnit-
E-Itanzen. Bei uns zu Lande läßt man sich was vortanzen, das ist
bequemer/ Hat er in Europa Schule gemacht? Ietzt läßt man sich
auch bei uns in Gesellschaften gegen Bezahlung vortanzen, vor--
geigen, vorsingen, vordeklamieren. Herren zum Dekorieren und
Damen zum Arrangieren sind gleichfalls gegen bar zu bekommen.
Neben dem Obsk äs enisins, der Chef kurzweg heißt, weil er der eigent-
liche Chef der Gesellfchaft ist, wird auch von den Nebenpersonen, als
Grafen, Literaten, Künstlern alles Nötige gegen Nota geliefert.

Zwar würde ja kaum „wissenschaftlich" handeln, wer die Kreise als
charakteristisch für unsere Zivilisation bespräche, in denen Metternich
junior seine freien Stunden verbrachte. Berlin WW schwimmt nur
sporadisch wie Fettaugen auf der Zivilisationsfuppe Berlin W, die als
Ganzes kräftiger ist als ihr Ruf. Die Gesellschasten von Berlin WW
sind also fürs Reich nicht typisch, zugegeben. Aber es gibt zweierlei
Sorten von Ausnahmemäßigem, von Anormalem. Solches, gegen
die Tendenz der Norm und solches, das diese Tendenz übertreibt.
Wollen wir bestreiten, daß die Geselligkeit von Berlin WW sich nicht
entgegengesetzt, sondern nur übertreibend zu der Geselligkeit unsrer
Gesellschast überhaupt verhält? In kleinen Kreisen werden bewußt
Versuche gemacht, wider den Stachel zu lecken. Wo man aber unsre
Geselligkeit sich selbst überließ, da entwickelte sie sich überall so: die
Hauptmasse der Teilnehmer der eigenen Tätigkeit zu entheben, mit
Raum, Beleuchtung, Speise und Trank auch die Anterhaltung fertig
zum Genuß zu servieren. Einzelne nur haben für die Ilnterhaltung
zu „forgen". Dann ist nur konsequent und ganz in der Ordnung, daß
man diese „Sorgenden" auch bezahlt. And wenn die Teilnehmer
das, weswegen sie kommen, nicht jeder zu seinem Teile mitbringen,
so wird der Wirt der befte sein, der's möglichst reich gibt: der Luxus
geht also mit dieser Entwickelung Hand in Hand. Das Wesentliche
jedoch macht sich über die eigentlichen „Gesellschaften" hinaus bemerk--
bar. Nach „unten" hin: unsre Volksfeste werden in immer höherem
Grade Schaustellungen, Vorführungen, die eigentliche Mitwirkung
der Teilnehmer, noch keineswegs überall erloschen, tritt zurück. Ebenfo,
versteht fich, nach „oben" hin. „Abende" entwickeln sich auch in
Privathäusern, bei denen einige wenige Leute mit Vorträgen usw.
mit oder ohne Entschädigung so gut wie allein die Anterhaltung
bestreiten. And unsre meisten literarischen Vereine sind schon seit
lange nicht mehr auf eine gemeinsame Pflege der Literatur, sondern
darauf gestellt, daß man sich von Namhaften was vorreden läßt. Nur
der eigentliche Ball und was dem „Zusammenführen der jungen Leute"
dient, bleibt im Dienste des höheren Zwecks von solchen Wegen abseits.

Wollen wir dieser Geselligkeit Bilder aus der alten gegenüber-
stellen? Bilder aus der Kulturfeinheit der Iahre vor der französischen

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