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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,2.1912

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Heft 7 (1. Januarheft 1912)
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Herter, Hans: Psychologie und Leben
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9026#0022
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Lockungen zu entziehen verstanden. Welche lebendige Kraft wäre
da zu entfalten, zu lenken.

Aber unsre Pfychologen sind nun einmal Wissenfchafter, und das
heißt für die Mehrzahl noch immer, daß das Leben für sie nur soweit
in Betracht kommt, wie man davon abftrahieren kann. Hans Herter

Bartschs „Deutsches Leid"

i r bitten die Leser, zunächst einmal die nachfolgenden Proben
L Hans Rudolf Hans Bartschs Landschaftroman „Das dentsche Leid"

mit Ruhe und soviel Wohlwollen als möglich in sich aufzunehmen,
in der Meinung, auch wem dieser Mozartton

fremd klingt, auch dem werden sich allmählich manche Melodien und
Harmonien daraus ins Herz schmeicheln. Es schien erlaubt oder geboten,
frühere Dichtungen des Steiermärkers ein wsnig auf Hohlklang auszu-
horchen, und auch an dieser Stelle mußte die Kritik fragen, warum kein
Werk von tieferem Klang und edlerer Arbeit auf die suchenden „Zwölf"
folgte, sondern nur solche, die trotz Sang und Lust den Anschein von
Gelegentlichem, Aberhastetem, Lruptivem nicht verleugneten. Nun aber
ist ein Großteil der Hoffnung auf den Zwölf-Steiermärker-Poeten erfüllt
worden, und die sich von V06 oder M? her das Vertranen gewahrt
haben, dürfen getrost wieder den Kopf heben. Wir glauben, daß uns
die Kritik nichts Neues sagen wird über die Schwächen dieses Dichters,
nachdem drei Bücher sie so wundenoffen dargelegt haben; wir glauben
vielmehr, sie nun als jene notwendigen Kehrseiten seiner Kräfte zu er-
kennen, die man vielleicht so wenig hervorheben sollte, wie die Tat-
sache, daß ein Kreis keine Ecken hat.

Beginnen wir mit kleinen künstlerischen Einzelheiten. Bartsch hat
heute wie nur je die in alten Zeiten viel geübte und heute überängstlich
gemiedene Vorliebe für das anschaulich schöne Wort als Kunftmittel;
es ist ihm recht ein Werkzeug zum Schmeicheln, es soll sich einküssen in
das Gemüt des Lesers; und anderseits läd er ihm gern ein blühendes
Stück Leben und Gesicht auf, daß es vor dem erstaunten Zuschauenden
steht mit einer leibhaftigen Gewalt und so überzeugend wie ein über
Nacht aufgebrochener Kastanienblütenbaum im Frühling. Darf ich ein
paar solche Sätze hier vorsühren, die wie junge kecke Füllen daherspringen?
Nicht um einer künftigen Poetik der Tropen und Figuren vorzuarbeiten,
sondern um einen Weg zu bahnen, dessen Ende gerade im Herzen dieser
Dichtung liegt. „Mit der Mutter waren aufregende Dinge, wie folche
von Größe und von Leid nicht zu besprechen. Sie hütete ihn wie einen
Blumentopf und erlaubte ihm nirgendhin Wurzeln zu schlagen, als in
beschränktester Wohlerzogenheit." Erweckt das die Sinne nicht besser
als hundert vorsichtig schildernde Seiten könnten, um dieses vaterlose
Kind zu sehn, dessen Lebensdrange eine liebend ängstliche Mutter nicht
gewachsen ist, diesen Knaben Welteroberer Erasmus Georg Botzenhardt,
der vom Fenster der mütterlichen Kleinstbürgerwohnung nach innen das
sanfte Walten einer Sorgenden, nach außen das sorglos brausende Brüllen
des Weltgeschehens vor sich hat? Derselbe, Iüngling geworden, gehört

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