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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,2.1912

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Heft 12 (2. Märzheft 1912)
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Rundschau
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.9026#0547
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Wach bleiben

(7>as Menschenleben ist eine fort-
^»^gehende Schule. Der Staats-
mann wie der Bauer muß jeden
Morgen die Erfahrungen von
gestern sammeln, das Verbrauchte
umwenden und erneuern; unsre
Seele muß, wenn sie nicht verkom-
men will, jeden Tag ihre Wäsche
wechseln. Der moralische Mensch hat
so gut seine Respiration wie der

physische, und nur durch diese blei-
ben wir lebendig. Wir bleiben nicht
gut, wenn wir nicht immer besser
zu werden trachten, und zu diesem
Zwecke bedarf es nicht einmal des
Gedankens der Ansterblichkeit; schon
für diese sechzig oder siebenzig Iahre
müssen wir immerwährend wach
sein, wenn wir für ihre Dauer glück-
lich, das heißt gut bleiben wollen.

Gottsried Keller

W

Unsre Bilder und Noten

enn wir heute auch nur ein Bildnis des bis zu seinem Tode
„verschollen" gewesenen Rembrandtdentschen als das erste wei-
tergeben könnten, das von diesem so tausendsach besprochenen
Manne überhaupt in die Sffentlichkeit kommt, so wäre das schon eine
merkwürdige Sache. Aber wir können dank seinem Freunde und Kunst-
genossen Momme Nissen heute drei Bildnisse Langbehns und eines seiner
Hand veröfsentlichen. Damit zugleich aber kommen zwei bisher ver-
mißte Werke des großen Leibl und ein verlorenes von Karl Haider
zum ersten Male aus dem Verborgenen ans Licht, während man von
Thomas „Philosophen mit dem Ei" nicht wußte, daß es Langbehn
darstellt. Ich glaube, die Leser verstehen, wenn wir uns unter diesen
besonderen Umständen kunstkritischer Betrachtnngen über diese Werke heute
enthalten, um nur die Worte der Pietät wirken zu lassen, mit denen
Nissen diese Schätze darbietet. Die Reproduktion war teilweise sehr
schwierig, weil wir nur bei dem Thomaschen Bildnis und bei Leibls
Hand nach den Originalen arbeiten konnten. Von Haiders Zeichnung
ist nur eine Photographie erhalten, während sich der Eigentümer des
Leiblschen Bildnisses von ihm nicht trennen wollte. Die drei Blätter
nach Leibl und Thoma sind in Gravüre hergestellt.

Zu den Bildern nach Kampmann und Braune ist kein Begleit-
text an dieser Stelle nötig, weil sie in dem besondern Beitrag „Zeichnung
und Grifselkunst" besprochen werden.

Die Beilage mit Bildern über Städtebau begleitet ebenfalls einen
Rundschauaufsatz. A

is in die graue Zeitenserne zurück reichen Balladen, die Verbrechen
^-^besingen, die in ihren psychologischen Gründen geheimnisvoll, die
Phantasie des Volkes erregten und beschäftigten. Heute weiß man, daß
es sich um krankhafte, sogenannte perverse Anlagen des Seelenlebens
handelt. Eine solche uralte Sage vom Frauentöter ist bei allen ger-
manischen Stämmen verbreitet. Bei den Normannen und Nordsranzosen.
ist er als „Blaubart" bekannt. Bei den Niederländern heißt er Halewyn,
bei den Deutschen meist Alrich, Ullinger oder Alleger. Er ist ein Ritter,
der mit zauberischem Sang edle Iungfrauen betört, sie zur Flucht aus
dem Vaterhaus verlockt oder mit ihnen Hochzeit macht, um sie dann im
Walde zu töten. In andern Fassungen weiß ihm die Iungfrau im

2. Märzheft W2


Lebende Worte
 
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