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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,2.1912

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Heft 7 (1. Januarheft 1912)
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Avenarius, Ferdinand: Geselligkeit
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Herter, Hans: Psychologie und Leben
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https://doi.org/10.11588/diglit.9026#0019
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Lin Gesellschaftswesen, gestellt aus Lssen, Trinken, Rauchen, Eitel-
keitsmarkt und Renommierkunst, daneben aber auf soundso viele
„Zwecke", wird als Gastgeber oder Besucher weiterpflegen, wem's Spaß
macht — ein Don Quichotte, wer mit einem „Kampf" dagegen Kraft
verbraucht. Wir wollen nur angesichts der jetzt erst recht beginnenden
Saison kleine Kreise anregen, unter sich häusiger bewußt eine Aus-
lesegeselligkeit zu versuchen, wie sie seit den athenischen Symposien
bei den geistig Anspruchsvollen reger oder stiller gelebt hat. Bewußt
zu versuchen, die Vorbedingungen für den feingefelligen Aus-
tausch der Persönlichkeitswerte Herzustellen. Denn die übliche Art von
Gesellschaften löst diese Vorbedingungen auf. Sie verkehrt ost ge-
radezu die Werte, indem sie die Causeure und Charmeure als die
geistreichen und bedeutenden, die gehaltvollen Menschen aber als die
unbeträchtlichen erscheinen läßt. Ein Merkmal der wirklich guten
Geselligkeit wäre dies: daß jeder gehaltvolle Mensch dazu gebracht
würde, natürlich, frei und gern sich zu erschließen, daß nicht ein
unnnterbrochenes Schwatzen, sondern ein natürlicher Rhythmus von
Gespräch und aufnehmendem Schweigen die Wechselwirkung bezeuge
und daß man möglichst wenig von „geselligen Talenten" merke. A

Psychologie und Leben

n unseren Unwersitäten sind im Durchschnitt wenige philosophische
s Vorlesungen von so vielen Studierenden besucht wie die größeren

psychologischen. Da sind unter den tzörern heutzutage die allerver-
schiedensten Berufe vertreten: zukünftige Lehrer, Kunstwissenschafter,
Historiker, Iuristen und die große Zahl derer, die über das Leben
schlechthin Ausschluß suchen, sammeln sich bei den Psychologen. Die
Gründe dieser weitgreifenden Anderung im Geistesleben der Bniversi-
täten lassen sich nicht in einem Satz wiedergeben. Historisch hat der
sogenannte „Zusammenbruch der Philosophie" die früher der Philo-
sophie Ergebenen zum guten Teil der Psychologie zugeführt. Und
die hoffnungreiche Wissenschaft vom Seelenleben vermaß sich auch
alsbald, alle die dunklen Zusammenhänge, welche unser tiefstes Lebens-
interesse fesseln, zu erhellen, zugleich aber die strengsten Grundsätze
der Naturwissenschaften aufrechtzuerhalten. Die Empirie sollte nir-
gends überschritten werden, so verhieß man, vergleichende, experimen-
telle, empirische Methode sollten genügen. Mußte man so nicht dem
Lebensrätsel auf die Spur kommen? War denn nicht alles — psychisch?
Die Religion nicht ein psychisches PHLnomen? Die Kunst etwas an-
deres als eine Ausgeburt des Seelenlebens? Der Kunstgenuß nicht
nur eine Form seelischen Verhaltens? Die PLdagogik eine Wirkung
von Seele zu Seele? Die Geschichte eine Verkettnng seelischer Er-
lebnisse oder wenigstens von seelischen Erlebnissen innerlichst bedingt?
Man hatte genug von allem Nnbeweisbaren, was die Spekulation
zutage gebracht, man floh das jenseits der Natur Gelegene, das
Metaphysische, und man konnte doch der Beschästigung mit dem
Geist nicht entraten; Wenigen genügte es, Pslanzen und Tiere, Ge-
stein und Elemente, Körper und Körpervorgänge zu erforschen —
gerade das Menschliche wollte man erkennen, und die natürliche
Naivität der Suchenden ließ sich die Auffassung nicht rauben, daß

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