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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,2.1912

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Heft 11 (1. Märzheft 1912)
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Was ist uns die Edda?
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https://doi.org/10.11588/diglit.9026#0389
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Was ist uns die Edda?

^^unächst natürlich als Sammlung nordischer Götter-- und Helden-
^^lieder, die über drei Iahrhnnderte reicht, ein kulturgeschichtliches
^FDenkmal von unschätzbarem Werte. Während in Niederdeutsch-
land schon der „Heliand" gegen die heidnisch epischen Lieder auftrat,
und während im Elsaß der gelehrte Mönch Otsried unter dem Schutze
Ludwigs des Deutschen seine Evangelienharmonie kunstvoll zusammen-
schweißte, da erst, im neunten Iahrhundert, erhielten hoch im Norden
die ältesten Götterlieder der Edda aller Wahrscheinlichkeit nach jene
Form, in der sie uns ausbewahrt sind: altnordische Gestalt, die aus
dem wuchtigen Knochenbau gemeingermanischer Anschauungen er-
wächst. Nngebändigt, in ungebrochener Nrsprünglichkeit noch tobte
das Volk, aus dessen Kreise sie hervorging, seine Krast auf Wikinger-
zügen aus, die das Karolingerreich erschütterten und bis über die
Küsten der „Wentilsee", des Mittelmeeres, Schrecken jagten. Die
jüngsten Gesänge der Handschrist aber stammen aus einer Zeit, da
auch in ihrer wilden Heimat schon, im „Eisland" mit den slammen-
speienden Vulkanen, längst Männer gebeugten Rückens vor dem
Schreibpulte saßen, wie Sämund, der Vielwisser, und der weise Ge-
schichtschreiber Ari. Während dieser langen Periode entwickelten sich
von innen heraus Formen, und drangen von außen her neue Stosse
und Vorstellungen in ihren Anschauungskreis. So bewahrt uns die
Edda neben Mythen in altem episch-schlichten Stil und Vortrag,
wie der Fahrt Thors nach seinem Hammer, auch Gesänge voll er-
habenen Schwungs vom Weltentstehen und Vergehen wie die Voluspo,
in die sich schon christliche Anklänge mischen,- oder Gedichte, die unver-
kennbar von der kunstvolleren Technik der Skalden und von roman-
tischerer Auffassung mitbestimmt werden, wie die Ielgilieder. Neben
die heimischen mythischen Stoffe treten die Heldensagen aus dem
„Gotenreich" und vom Rhein, vor allem die Nibelungensage,
in jener alten Fassung aus der Völkerwanderungszeit noch, da,
anders als im höfischen Epos, Atli-Etzel um des Schatzes willen
die Brüder Gudrun-Lhriemhildens zu sich einlädt und erschlägt,
sie aber als Bluträcherin der Sippen den Atli ermordet. Nnd
die jüngsten Lieder endlich, die wohl aus dem Ende des zwölften
Iahrhunderts stammen, treten sogar in einen gewissen Gegensatz zu
dem Gehalt der Sammlung sonst: die mythische tzandlung selber, die
vorgetragen werden soll, sinkt zu einer bloßen Einkleidung des eigent-
lichen Inhalts herab, und dieser eigentliche Inhalt dient vor allem
dazu, die mythologischen Kenntnisse der Verfasser auszubreiten,
wie das besonders deutlich in einigen Götterliedern und in der
Gripispo wird.

So wertvoll nun aber auch von kulturhistorischem Standpunkt aus
das Ganze und Einzelne der Sammlung ist, unsere Zeit hat noch ein
andres und ein stärker brennendes Interesse daran, wenn sie ihre
Vergangenheit nicht nur kennen lernen will, sondern aus ihr auch
gewinnen will, was ihr eignes Leben zu stärken und höher zu heben
vermag.

y Märzheft 2H5
 
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