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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,2.1912

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Heft 10 (2. Februarheft 1912)
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Erdmann, Karl Otto: "Erzieher" und "Weltmann"
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9026#0306
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lichen Züge mit theoretischem Interesse erklärend und begrei-
fend und habe dnnn die Entsagung und den Mut zu sprechen:
„k^omo sum, pumuui uiüil a rue ulieuuru poko." 5:. O. Erdnrann

O

Warum geben wir diesen Sätzen an leitender Stelle Raum? Der
Verfasser wie wir selber könnten nicht schlimmer mißverstanden wer--
den, als wenn man. daraus den guten Rat herausläse: treib's nun
so oder so, es ist alles eins und im Grunde alles gleichgültig. Als
Auseinandersetzung der Tatsachen wie der Äberzeugungen entwickelt
sich die Kultur, und alles wird in ihr mitwirken, was in irgendeinem
Sinne Kraft ist. Was zu tun uns unser Innerstes, unser „Gewissen"
drängt, das dürfen wir deshalb nicht nur, das müssen wir tun,
wenn wir gerade uns nicht ausschalten wollen, die wir uns doch
nicht für die Schlechtesten halten. Wir werden es s o tun, wie der
Imperativ in uns befiehlt. Aber auch der ist nicht starr, und wie
er uns heute anderes und anders befiehlt, als unsern Ahnen vor
dreihundert Iahren, so befiehlt er auch dem einzelnen anders, je
mehr er die Welt um sich, je mehr er auch Freund und Gegner in
ihren Zielen wie in ihren Gründen erfaßt — je mehr er wächst und
je mehr er reift. Der Kampf der Kräfte wird nicht schwächer
dadurch, aber er wird dadurch reiner. Ob der einzelne dann
schließlich als „Lrzieher" oder als „Weltmann" denkt und spricht,
er denkt und spricht dann jedenfalls nicht nur als Herdentier, son-
dern als Mensch, der nach seiner Kraft sich selber erzogen hat.

Lose Blätter

Die Verlobte

Novelle von Hans Reisiger^

,er alte Herr Gorreluk hatte sich und seine drei noch unerwachsenen
^Cc-chter aus dem steinernen Getriebe der Stadt in das kleine Haus
geflüchtet, das er sich weit hinter stillen Wäldern in der Rähe
des Meeres aus Holz gebaut hatte.

Es war erst jüngst fertig geworden. Herr Gorreluk hatte die Pläne
dazu selbst gezeichnet und insbesondere alle die Farben angegeben, mit
denen die Grundflächen und Leisten an Wänden, Decken, Türen und
Fenstern gestrichen werden sollten. Das Gesamtbild des Häuschens war
jcdoch nicht zuerst in seinem Kopfe aufgetaucht. Er hatte einst in einer
Abendgesellschaft neben einem sehr berühmten Baumeister gesessen und
flüchtig von seiner Absicht, sich ein stilles Haus zu bauen, gesprochen;
worauf der sehr elegante, mit einer großen Glatze versehene Herr ein Glas
Wein hinuntergestürzt, einen goldenen Bleistift hervorgezogen und auf
die Rückseite seiner Tischkarte schnell die Ämrisse eines kleinen Hauses
gezeichnet hatte. Diesen unter den Lichtern einer großen Dafel bei Wein

* Aus Reisigers „Stillen Häusern" (Verlag der Literarischen Anstalt
Rütten L Loening in Frankfurt a. M.), besprochen in der Rundschau
dieses Heftes.

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