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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,2.1912

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Heft 9 (1. Februarheft 1912)
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Beaulieu, Héloise von: Vortragsbildung: ein Gespräch
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Nidden, Ezard: Gunnar Heibergs Dramen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9026#0213
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zrehungskraft der schlechten Varietss besser entgegengewirkt als durch
Lntrnstungspredigten. Und gewiß: Vorträge sind auch das geeignetste
Mittel zu segensreicher Propaganda, — zur weniger segens-
reichen leider auch, aber vor Mißbrauch ist kein an sich edles Mittel ge-
schützt. Schließlich gestehe ich Ihnen gern zu, daß der Vortrag eines
Menschen, der des Wortes wie des Gedankens rnächtig ist, und der
nicht verschmäht hat, den richtigen Gebrauch der Stimmittel bei einem
Fachmann zu erlernen, mir einen erlesenen Genuß gewährt, so ästhe-
tisch wertvoll wie der irgendeiner anderen künstlerischen Leistung und
menschlich vielleicht noch wertvoller.

DieIdealistin: Da sind wir ja ganz einer Ansicht!

Der Skeptiker: Aber das darf man nicht im Anfange sagen,
denn dann gäbe es keine Ilnterhaltungen, und gäbe es die nicht,
so sähe man die Dinge immer nur von seiner eigenen Seite.

H. vonBeaulieu

Gunnar Heibergs Dramen

^E^Mcht man von nordischer Dramatik, so steht Ibsens und Björn-
^^^^sons Dichtung so sehr im Vordergrund, daß es scheint, alles andre
müsse daneben verschwinden. A.nd da Björnson sein Bestes wohl
trotz manches vortrefslichen Stückes nicht in der reinen Gestaltpoesie
des Dramas gegeben hat, so repräsentiert uns Ibsens gewaltige
Reihe vom „Puppenheim" bis zu dem Lpilog „Wenn wir Toten er-
wachen" eigentlich allein die nordische Szenen- und Dialogdichtung.
Wer weiß von Hamsuns Dramen, von Rasmussen, von Aanrud? Aller-
dings, eine strengste Auslese würde diese drei und manche andern
vielleicht nicht in den Kanon des „notwendig zu Lesenden" ausnehmen.
Einer aber gehört unbedingt noch zu den Anentbehrlichen, deren Ein-
blick in die Tiese und deren Aberblick über das Gefüge und Getriebe
der Menschlichkeit eigene und starke Bilder vermittelt: Gunnar
Heiberg.

Manche seiner Akte spielen sich szenenlang ganz schlicht ab; man
glaubt, daß die Geschehnisse und Ideen — die vielen politischen etwa
— mehr nur einen geschickten mechanischen Ausbau bilden, dem eine
Explosion folgen wird. Alles scheint sich etwas kurzatmig vorzutragen,
die Ideen klingen sogar etwas abgebraucht, trivial, wenn auch ge-
legentlich sühlbar wird, wie sicher diese klaren Grundgedanken aus
vielmaschigen Gedankengeweben Herausgelöst sind. Aber dann tritt
etwas ganz Anerwartbares ein. Als wenn plötzlich eine Gestalt sich
sekundengeschwind entkleidete. Ein Mädchen sagt: „ich will Ihre
Geliebte werden!", oder ein Revolutionär sagt: „der Staatsminister
hat meine Mutter zur Geliebten gehabt, das steht morgen in der
Zeitung." Plötzlich nun gewinnt nach rückwärts das Gesehene durch
diese grell auszuckenden Lichter tieseren Sinn. Trotz der Kürze des
Vorangegangenen fühlt man sich schon tief mit dem seelischen Erlebnis
der Gestalt verbunden, deren Innentiefe so aufbricht. Es ist erschreckend,
aufreizend, was da geschieht — aber unmittelbar solgt die Erkenntnis,
daß es nicht unvorbereitet war. Nur ein Seelenkenner und Seelen-
deuter von fühlsamstem Ohr und strichsicherster Hand kann solche Lr-
lebnisse innerlich ertasten und frei hinstellen. Heiberg ist aber durchaus



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