Indenr nun die neue Schule
diesen wirklichen Heinratboden, diese
natürliche Grundlage der ideellen
Welt des Kindes, in den Mittelpunkt
ihrer Bestrebungen rückte, entdeckte
sie zugleich, wie sehr man bisher
die eigentliche Heirnat verkannt hatte
— indem man Stadt- und Land--
kindern einen wesentlich gleichen
Anschauungsunterricht erteilte.
Die Wirklichkeit, die Natur, sollte
dem heranwachsenden Menschen ver-
ständlich werden. Also mußte sie
erlebt werden. So natürlich es nun
war, mit der Dorf- oder mit der
Kleinstadtjugend vom Leben inFeld
und Wald, von den Arbeiten des
Landmanns im Frühling, Sommer
und Herbst zu sprechen, so verkehrt
erwies sich dieses Verfahren für die
Kinder der großen Stadt, deren
eigentliche Heimat nicht Feld und
Wald sind, denen Pflügen, Säen,
Ernten, denen das Tierleben im
Walde, im Bauernhofe unter Hüh-
nern und Gänsen unbekannte, un-
erlebbare Dinge waren. Nicht der
Anger und nicht der Bach, nicht
der Wald und nicht die Heide sind
die Heimat unserer Großstadtjungen,
sondern der Winkel zwischen Vor-
der- und Hinterhaus und die Groß-
stadtstraße sind es. Das mag be-
dauerlich sein, aber es ist nun ein-
inal so und läßt sich nicht von heute
auf morgen ändern.
Was den Försterbuben Ludwig
Ganghoser in seiner Kinbheit alles
begeisterte und entzückte: „Das
Grillenkitzeln, das Eierstehlen aus
den riesigen Heuböden des Rvlle-
wirts, die Kartoffelbraterei auf dem
Felde und das Feuermachen im
Walde, das Staudenschlupfen und
Baumklettern, das Holleklopfers-
laufen und Dreikönigsreiten" — das
alles sind dem heutigen Großstadt-
jungen wohl romantische Ziele, aber
keine erlebbaren Wirklichkeiten. Da-
gegen schwärmt er für die Wacht-
parade, für die Weihnachtsausstel-
lungen, für Trambahn, Automobil
und Luftschiff — und seine Kinder-
spiele geben uns Kunde davon.
Mit der Erkenntnis dieser Ver-
schiedenheit von städtischer und länd-
licher Heimat kam zugleich die Ein-
sicht in die A.nnatur der früheren
Bestrebungeu. Man erkannte das
Ansinnige des Anterfangens, Lehr-
pläne, Lesebücher und andere Anter-
richtsmittel für ein ganzes großes
Land gleichmäßig zu gestalten und
vorzuschreiben. Man lernte die
erzieh erisch e Bedeutnng der
heimatlichen Sonderart ein-
sehen. Man kam zur Heimat-
pädagogik, zu einer Art „Heimat-
kunst" innerhalb der Erziehungs-
und Anterrichtsbestrebungen.
Es ist nicht abzuleugnen: der
Anterrichtsbetrieb wird der natür-
lichste urrd erfolgreichste sein, der
sich am ungezwungensten der eigen-
artigen Wirklichkeit anbequemt, die
ihn umgibt. Das seelische Spiegel-
bild dieser Realität findet er in
den Köpfen und Herzen der wer-
denden Menschen, die er erziehen
und bilden soll. Diese individuell
gestalteten Erinnerungsbilder müs-
sen ihm die Grundlagen für alle
„höheren" Bildungsbestrebungen
liefern, wenn nicht mit fchlecht be-
gründeten oder mit falsch gedeu-
teten Anschauungen und Begriffen
gearbeitet werden soll.
Die pädagogische Folgerung aus
solcher Einsicht heißt: Verbannung
der Schablone, der Aniformierung,
der „Allgemeingültigkeit" beim
Aufstellen von Stoffverteilungs-
plänen. Das Leben in der lauten
Großstadt ist andrer Art als im
entlegnen Weiler; aber auch zwi-
schen gleichgroßen Gemeinwesen be-
stehen je nach der geographischen
Lage tiefgehende Anterschiede. Die
Kinder in einem Rhöndörfchen
haben andre Lebenserfahrungen und
W Kunstwart XXV, 8
diesen wirklichen Heinratboden, diese
natürliche Grundlage der ideellen
Welt des Kindes, in den Mittelpunkt
ihrer Bestrebungen rückte, entdeckte
sie zugleich, wie sehr man bisher
die eigentliche Heirnat verkannt hatte
— indem man Stadt- und Land--
kindern einen wesentlich gleichen
Anschauungsunterricht erteilte.
Die Wirklichkeit, die Natur, sollte
dem heranwachsenden Menschen ver-
ständlich werden. Also mußte sie
erlebt werden. So natürlich es nun
war, mit der Dorf- oder mit der
Kleinstadtjugend vom Leben inFeld
und Wald, von den Arbeiten des
Landmanns im Frühling, Sommer
und Herbst zu sprechen, so verkehrt
erwies sich dieses Verfahren für die
Kinder der großen Stadt, deren
eigentliche Heimat nicht Feld und
Wald sind, denen Pflügen, Säen,
Ernten, denen das Tierleben im
Walde, im Bauernhofe unter Hüh-
nern und Gänsen unbekannte, un-
erlebbare Dinge waren. Nicht der
Anger und nicht der Bach, nicht
der Wald und nicht die Heide sind
die Heimat unserer Großstadtjungen,
sondern der Winkel zwischen Vor-
der- und Hinterhaus und die Groß-
stadtstraße sind es. Das mag be-
dauerlich sein, aber es ist nun ein-
inal so und läßt sich nicht von heute
auf morgen ändern.
Was den Försterbuben Ludwig
Ganghoser in seiner Kinbheit alles
begeisterte und entzückte: „Das
Grillenkitzeln, das Eierstehlen aus
den riesigen Heuböden des Rvlle-
wirts, die Kartoffelbraterei auf dem
Felde und das Feuermachen im
Walde, das Staudenschlupfen und
Baumklettern, das Holleklopfers-
laufen und Dreikönigsreiten" — das
alles sind dem heutigen Großstadt-
jungen wohl romantische Ziele, aber
keine erlebbaren Wirklichkeiten. Da-
gegen schwärmt er für die Wacht-
parade, für die Weihnachtsausstel-
lungen, für Trambahn, Automobil
und Luftschiff — und seine Kinder-
spiele geben uns Kunde davon.
Mit der Erkenntnis dieser Ver-
schiedenheit von städtischer und länd-
licher Heimat kam zugleich die Ein-
sicht in die A.nnatur der früheren
Bestrebungeu. Man erkannte das
Ansinnige des Anterfangens, Lehr-
pläne, Lesebücher und andere Anter-
richtsmittel für ein ganzes großes
Land gleichmäßig zu gestalten und
vorzuschreiben. Man lernte die
erzieh erisch e Bedeutnng der
heimatlichen Sonderart ein-
sehen. Man kam zur Heimat-
pädagogik, zu einer Art „Heimat-
kunst" innerhalb der Erziehungs-
und Anterrichtsbestrebungen.
Es ist nicht abzuleugnen: der
Anterrichtsbetrieb wird der natür-
lichste urrd erfolgreichste sein, der
sich am ungezwungensten der eigen-
artigen Wirklichkeit anbequemt, die
ihn umgibt. Das seelische Spiegel-
bild dieser Realität findet er in
den Köpfen und Herzen der wer-
denden Menschen, die er erziehen
und bilden soll. Diese individuell
gestalteten Erinnerungsbilder müs-
sen ihm die Grundlagen für alle
„höheren" Bildungsbestrebungen
liefern, wenn nicht mit fchlecht be-
gründeten oder mit falsch gedeu-
teten Anschauungen und Begriffen
gearbeitet werden soll.
Die pädagogische Folgerung aus
solcher Einsicht heißt: Verbannung
der Schablone, der Aniformierung,
der „Allgemeingültigkeit" beim
Aufstellen von Stoffverteilungs-
plänen. Das Leben in der lauten
Großstadt ist andrer Art als im
entlegnen Weiler; aber auch zwi-
schen gleichgroßen Gemeinwesen be-
stehen je nach der geographischen
Lage tiefgehende Anterschiede. Die
Kinder in einem Rhöndörfchen
haben andre Lebenserfahrungen und
W Kunstwart XXV, 8