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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1919)
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Heuss, Theodor: Phantasie und Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0033

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werker und Techniker im Alltagsstil. Genügt diese Lrkenntnis aber, um den
künstlerischen Einfall, um die subjektive Erfindungskraft zum wesentlichen
Stichwort, zum eigentlichen Souverän im Bereich der Baukunst zu machen?

In den mancherlei Manifesten, die seit dem November M8 die neue
Zeit und ihre inbrünstig ersehnte geistig-kulturelle Fruchtbarkeit einläuten
(eine Sehnsucht mit langen Fristen), kehrt gerne das Wort von einer
„ütopischen Baukunst wieder. Dieser Begriff scheint mir interessant. Er
umschließt, vielleicht unbewüßt, den Wunsch, daß unsere Baukunst, die
ein paar Iahrzehnte lang fast überernährt war, nun in den Zeitläuften
der finanziellen Armseligkeit den Drang zur großen, zweckentbundenen
Leistung nicht verliere, sondern dem Geist die Aufgabe zuweise, die äußere
Armut durch inneren Gehalt zu überwinden, damit aus der Not die
Tugend des Besseren werde. Man denkt an Schinkels Wirken; dabei
kreuzen auch jene Baupläne von ihm die Erinnerung, die, groß gedacht,
durch die Armut des Staates unausgeführt blieben. Nnd das ist das
zweite. Die Phantasie des Architekten soll sich frei, unbeschwert von Bau-
herren, Bausituation, Material und Kosten, ihr Reich schaffen können,
damit sie, das Schöpferische, nicht Sklave werde, sondern Führer, Weg-
bereiter. Die Eigenherrlichkeit des Künstlers, die Maße, die er in seinem
bewegten Inneren findet, sollen die Form bestimmen, nicht was an Ge-
sehlichkeit, Kompromiß, Konvention ihm von der Geschichte überantwortet
wird. Die „litopie" ruft nach dem ungehemmten Entwurf der Phantasie,
die in architektonischen Gedanken ihre Bilder gestaltet, gleichviel ob die
Möglichkeiten der Ausführung technisch oder wirtschaftlich gegeben sind.
Hier beginnt der Zwang zur Skepsis. Nicht als ob es nicht reizvoll wäre,
Zeuge einer frei schweifenden architektonischen Gestaltung zu sein.. Bibiena
und Piranesi haben prachtvoll kühne und weite Bogenhallen, Treppen,
Brücken entworfen, stolzen Prunk eines festlichen Barocks, die nie gebaut
wurden, nie gebaut werden sollten. Es waren Theaterdekorationen, Hinter-
gründe erhöhten Lebens. Das ist sehr aufschlußreich, denn im Theater,
man braucht nur an Palladios köstliches Werk in Vicenza zu denken,
hat die Phantasie ihre Heimat. Aber indem es sich, auch den Heutigen,
als Äbungsfeld und Tummelplatz für Farbe und Formspiel anbietet, zeigt
es zugleich die Grenze der sachlichen Befruchtung.

Vor ein paar Iahrzehnten haben Otto Rieth und dann Schumacher
Architekturideen veröffentlicht, Männer mit Einfällen und Begabung der
Darstellung. Interessant genug, aber ohne sachliche Wirkung, und
dies Ausbleiben eines Echos wird man nicht einmal bedauern.
Wenn neulich in Berlin eine „Ausstellung unbekannter Archi-
tekten" ein ähnliches Ziel vor sich sah und der Mangel an überzeugenden
Leistungen durch den Enthusiasmus ersetzt wurde, mit dem der Phantasie
ein neues, anerkanntes Heimatrecht in der Architektur gesichert werden
sollte, so liegt der Fall ähnlich. Diese Art Blätter, sofern sie nicht von
vornherein für den Bühnenraum gedacht sind, gehören in das Gebiet
der graphischen Kdnst, aber es ist ein Irrtum, daß ihre Abertragung
in das Dreidimensionale, in Stein, Holz, Eisen, Glas eine Lrhöhung
der baukünstlerischen Leistungen in sich schließe. Im Gegenteil.

Denn insofern die Architektur die „erste Kunst" ist, ist sie auch eine
strenge Kunst und dem Subjektivismus feindselig. Sie ist gebunden —
darin liegt ihre Größe und ihre Verantwortung. Gebunden nicht in der
primitiven Zwecksetzung, gleichgültig, ob diese „bürgerlich", repräsentativ,

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