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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 19 (1. Juliheft 1919)
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Heuss, Theodor: Phantasie und Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0034

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sakrat sei (denn deren Erfüllung wird vorausgesetzt), sondern in der Aus--
druckskraft des Materials, Stein, Ziegel, Holz, Zement — gerade wer
im „utopischen« Bauwerk die auseinandergefallenen Künste wieder zu-
sammenbringen will und wer das Handwerkerliche als die Gesundung
alles anständigen Bauens und Gestaltens begreift, darf diese Grundlagen
nicht zugunsten des Spiels am Beißbrett vernachlässigen. Gebunden
auch im banalsten Wortsinn an Bauplatz und Baugrund, an Landschaft
und Umgebung das ist der Krankheitskeim der meisten „idealen" Archi-
tekturen, daß sie das vernachlässigen, woraus der wahre Baumeister
die Nahrung seiner Phantasie zieht. Und ferner vergessen, daß nicht
in der Silhouette, nicht in der Fassade und im Dekor, sondern im Grundriß
das schöpferische Können seine ersten Elemente festlegt.

Erundrisse sind Kataloge von Zwecken, Kinder des Verstandes, Abungs-
feld des Rationalismus. Aber müssen sie sich darin erschöpfen? Kann
der Zweck nicht über die Brauchbarkeit hinaus auf Schönheit, Anmut,
Würde, Pathos zielen? Sicherlich. Und hier beginnt das Kapitel von
dem groszen Architekten, daß er nämlich auch in dem groß ist, was
nicht als weithin sichtbare Formel seines Werkes dient. Wenn heute
etwa Poelzig unter den deutschen Baumeistern derjenige ist, der mit Frische
und Kühnheit über die Gleise der Konvention hinausschreitet rnd Werke
hinstellt oder plant, die bedeutend sind nicht um ihres Subjektivismus
willen, sondern um ihrer Gesinnung, dann ist das gewachsen über einer
Zweckordnung, die nicht rationalistisches Finden, sondern intuitive Erfin-
dung ist; diese ist aber sozusagen stich- und hiebfest.

Die Aussprache über die Zukunft unserer Baukunst wird von verschie-
denen Ouellen gespeist. Die Realisten gehen von der nüchternen Tatsache
aus, daß Deutschland ein armes Land sein wird und daß die Wahrschein-
lichkeit des Stockens im Wachstum der Städte für einige Zeit keine
großen Aufgaben der Repräsentation mit sich bringen wird — die Energie
wird in der Schaffung von Siedelungen vor den Städten, in der Gründung
von Bauerudörfern sich erschöpfen müssen. Normalisierung und Typi-
sierung werden zu Geboten der Wirtschaftlichkeit es steigt die Lrinnerung
auf an die Bautätigkeit des zweiten Friedrich (und seines Vaters), die
Phantasie des Architekten wird „städtebaulich" sein müssen, und sie darf
sich in alten süddeutschen Dörfern Rat holen über den Reiz kecker Farbigkeit.
Die Idealiften glauben, daß der neue sozialistische Staat sich seine neuen
Bausymbole schaffen werde mit großen Volkshäusern, die einem neuen
Gemeinschaftsgefühl den Ausdruck geben wie ehedem Kirche, Stadt-
herrlichkeit, Territorialfürstentum die Zeugen ihrer sachlichen und geistigen
Bedeutung hinstellten Bruno Taut hat diesem Gedanken sein schönes,
sympathisches Buch über die „Stadtkrone" gewidmet. Wir hören, daß der
„Expressionismus" das Tafelbild verlasse und auch die Mutter der Künste,
die Architektur, neu bilden werde, hören es mit dem ungenauen Gefühl,
daß Schlagworte sich in einem Bezirk aufhalten, der nicht durch die Theorie,
sondern allein durch die schöpferische Tat sein Gesetz empfängt. Ansere
Blicke werden auf Indien gelenkt, und wir sind dankbar, denn ein un-
endliches kosmisches Gefühl weitet sich in den Wunderwerken dieser ge-
bauten Welt — aber wehe, wenn wir, indischer Religiosität bar und im
Kultischen verarmt oder gefesselt, dort „Vorbilder und Beispiel" holen
wollten. Es müßte der sinnloseste Eklektizismus werden, wie es der neu-
gotische war, den die Bildung und nicht die Seele geweckt hatte.
 
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