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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 20 (2. Juliheft)
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Um den Sozialismus 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0069

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„Exproprration der Expropriateure" — dann würde der Sozialismus flott
sein! Wohl aber hat Marx ebenso wie Lassalle gesehen, daß die sozia-
listische Gesinnung und Lehre einer Machtorganisation, einer sie tragenden
Bewegung bedürften. Sie erkannten als geborene Träger dieser Be-
wegung die eigentlichen Leidtragenden der herrschenden Lebensordnung, die
Lohnarbeiterschaft, das Proletariat. Durch Aufsätze, Reden, Vorträge, Mani-
feste, Kongresse, Bücher, Prozesse, organisatorische Arbeit haben Marx,
Engels, Lassalle und andere das Proletariat gegen tausend widrige ülm-
stände, innere und äußere Hemmungen, unter großen Opfern, geistig belebt
und politisch organisiert. Marx' Kapital-Werk ist die Bibel der internatio-
nalen sozialistischen Bewegung geworden. Besonders in Rußland und in
Deutschland hat Marx seither Millionen von Köpfen geradezu beherrscht.
Wir sagten, daß die großen Sozialisten die Masse politisch organisiert
haben. Dies ist in der Tat der springende Punkt. Aicht mehr Putschismus,
Sektiererei, kleinzügiges Experimentieren usw. war nach Marx' Auftretcn
das Ziel der Sozialisten, sondern der wirtschafts- und machtpolitische Kampf.
Der wirtschaftspolitische: solidarische Lohnkämpfe, Streiks. Der machtpoli-
tische: Klassenkampf, Gründung der sozialdemokratischen Parteien. And beide
in allen europäischen und vielen anderen Ländern international. Iedermann
weiß, welche gewaltigen Ergebnisse diesen Bestrebungen beschieden waren.
Millionen haben sich zusammengefunden, vom „Tritt der Arbeiterbataillone"
hallte die Welt wider, der helle Ruf „Proletarier aller Länder, vereinigt
euch!" beherrschte die Arbeitermassen bis in die fernsten Länder. And doch
— war der Erfolg, gemessen am sozialistischen Ideal, so groß? Man wird
darüber streiten können. Rein sachlich genommen liegen die Dinge etwa
so: der gesamte Sozialismus hat ein einziges großes Ziel, die
sozialistische Lebensordnung. Davon ist noch heute so gut wie nichts er-
reicht. Dieses Ziel läßt sich auch wohl nicht „schrittweise" in Iahrzehnten
erreichen, wenn man nicht alles in Verwirrung bringen will, sondern nur
durch tiefe, entscheidende Eingriffe in die Lebensordnung, auf Grund einer
bedeutenden, unbeugsamen Macht. Nun aber hat geschichtlich dex sozia-
listische Gedanke seinen Träger gefunden in den Massen der Arbeiterschaft,
im Proletariat. Manche sozialistische Führer haben sich anfangs gedacht,
man könne die Arbeiterschaft und alle andern Sozialisten in eine große
Partei zusammenschließen, welche ausschließlich politische Oppositiou zu
treiben hätte. Sie wollten sich an der gesetzgeberischen Arbeit und der
wirtschaftspolitischen Organisation überhaupt nicht beteiligen, da das ja alles
nichts nütze, da man sich dabei höchstens zum Mitschuldigen am Bestehen-
den herabwürdige und da dabei höchstens kleine Vorteile für die Massen
herausspringen würden, welche dann in ihrer sozialistischen Entschlossenheit
wanken würden, während doch alles daraus ankomme, die Massen in
strengster Ablehnung der Gegenwart festzumachen und sie auf den großcn
Tag der Amwälzung vorzubereiten, der nach Marx von selbst kommen mußte
und an dem sie die Macht aus der erschlafften Hand der erledigten Macht-
haber übernehmen würden. Diese Doktrinäre haben sich nicht durchgesetzt.
Zwar ist die Sozialdemokratie immer Oppositionspartei gewesen. Aber
je länger der „Kladderadatsch" auf sich warten ließ, um so dringender sahen
sich die sozialistischen Führer gedrängt, den Massen schon vorher soviel
Verbesserungen ihrer Lebenslage zu verschaffen wie nur irgend möglich.
Das haben vor allem die der Politik überhaupt ferner stehenden Gewerk-
schafter eingesehen und danach getan, dann aber auch die sozialdemokratischen

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