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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 20 (2. Juliheft)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0085

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(Heinrich gcht essen und liest darnin Zeitungen.) Äber dem bchaglichen

Lesen kehrten aber zusehends meine Leibcs- und Verstandeskräfte zurnck, und
als ich den Bericht las, >wie in einer Stadtkirche das Volk znsammenlaufe,
weil ein Marienbild dort die Amgen bewegen solle, kam ich betroffen anf
mein stilles Privatwunder zu denken nnd sagte mir nach einigem Besinnen,
in ganz verändertem Seelentenor, als ich vor dem Essen gehabt: Bist du
denn besser, als diese Bildanbeter? Da kann man wohl sagen, wenn der

Zeufel hungrig ist, so frißt er Miegen, und der Hcinrich Lee schnappt nach
einem Wunder! Und doch zögerte ich, mich der wohltuenden Empfindung

einer unmittelbaren Vorsorge und Erhörnng eines persönlichen Zusammcn-
hanges niit der Weltsichcrheit zu entledigen . . . Noch heute lache ich weder
über die Geringfügigkeit jener Not, noch über den vorübergehenden Wunder-
glauben, noch übcr die pedantische Abrechnung, die ihm folgte. Ich würde
die Erfahrung, einmal im Leben den starken Hunger gespürt zn haben, das
Wunder des lieblichen Sonnenblickes nach dem Gebete und die kritische Auf-
lösung desselben nach crfolgter Leibesstärknng nicht hergebcn; dcnn Leiden,

Irrtum und Widerstandskraft erhalten das Leben lebendig, wie mich dünkt.

(Der junge Geselle)

/Lr war ein Norddeutscher von der fcrnen Ostsee, groß und schlank gewachsen,
>m<mit hellblauen, aber feurigen Augen und mit starkem goldenem Haar . . .
Seine Bewegungen bei der Arbeit waren elegant, und dabei hatte sein Wesen
doch etwas Kindliches. Wir wurden bald vertraut, uud er erzählte mir von
seiner Heimat ... bis er endlich auch von der Freiheit deutscher Nation
redete, und wie bald die stattliche Repnblik eingeführt werden müßte. Ich
schnitzte unterdessen nach seiner Anleitung eine Anzahl hölzerner Nägel; er
aber führte schon mit dem Doppelhobel die letzten Stöße über die Bretter,
feine Späne lösten sich gleich zarten glänzenden Seidenbändern nnd mit einem
hell singenden Tonc, welcher unter den Bäumen ein scltsames Lied war. Die
Herbstsonne schien warm und lieblich drein, glänzte frei auf dem Wasser und
verlor sich im blauen Duft der Waldnacht, an deren Eingang wir uns ange-
siedelt. Ietzt bauten wir die glatten, weißen Brettcr zusammen, die Hammer-
schläge hallten wieder durch den Wald, daß die Vögel anfflogen, und bald
stand der fertige Sarg in seiner Einfachheit vor uns, schlank und ebenmäßig,
der Deckel schön gewölbt. (Aus dem Grünen Heinrich)

(Fernsein und Wiedersehn)

^Vttie lang wird nicht eine Woche, ja nur ein Tag, wenn man nicht weiß,
-^-Vwie diejenigen, die man liebt, jetzt stehn nnd gehn, wenn eine solche Stille
darüber durch die Welt herrscht, daß allnirgends auch nur der leiseste Hauch
von ihrem Namen ergeht, und man doch weiß, sie sind da nnd atmen
irgendwo.

^ergestalt ging es wie auf einer klcinen Hochzeit in dem Häuschen der
^iiwe, nur viel stiller, und Pankraz benutzte das helle Licht der Kerzcn, die
gealterten Gcsichter seiner Muttcr und Schwester zu sehen, und dies Sehen
rührte ihn stärker, als alle Gcfahren, dcneu er ins Gcsicht geschaut. Er verfiel
in ein tiefes trauriges Sinnen über die menschliche Axt und das menschliche
Leben, und wie geraüe unsere kleineren Eigenschaften, eine freundliche oder
herbe Gemütsart, nicht nur unser Schicksal und Glück machen, sondern auch
dasjenige der uns Ämgebcnden und uns zu diescn in ein strenges Schuld-
verhältnis zu bringen vermögen, ohne daß wir wissen, wie es zugegangen,
da wir uns ja unser Gemüt nicht selbst gegeben. (Pankraz)

(Die hcitere Gesellschaft)

/(?tröhlich und galant) waren wir denn auch in der besten und ziemlichsten
VO Weise... Als alle auf ihr Wohl mit ihr anstießen, trank sie den schlanken
Kelch bis auf den Grund lecr, oder vielmehr floß ihr die perleirde Süße wie
ein Schlänglein in den Mund, ohne daß sie es wußte; wenigstens behauptete
der Gottesmacher nachher, er habe an ihrer weißeu Kehle gcsehen, wie es
durchgeschlüpft sei. Nun fing sie an zu zwitschern und mcinte, hicr wäre es gut...

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