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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 20 (2. Juliheft)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0086

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(Sie gchn, und) eine Minute später wnr es wieder totenstill in meinem
Gemache, und die weißgestrichene Türe, durch welche die schönen Frauen und
Männer verschwunden, flimmerte mir vor den Augen, wie cine Leinwand,
von wclcher mit einem Zuge ein Bild warmen Lebens weggewischt worden ist.

(Grüner Heinrich)

(Allerlei Küsse)

Wie willst du weiße Lilien zu roten Rosen machen?

Küß eine weiße Galathee: sie wird errötend lachen (Logau).
f?va hob sie dcn Fuß in seinen Stcigbügel, er gab ihr dic Hand und sie schwang
-!^sich zu ihm hinauf, schlang ihren Arm um seinen Hgls und küßte ihn
lachend. Abcr sie errötete nicht, obgleich auf ihrem weißen Gesicht der bequcmste
und anmutigste Platz dazu vorhanden war. ... '

/^ie wollte soglcich entflichen; allein er hiclt sie fcst und lispelte ihr zu, wenn
>^sie sich widersetzte, so würde er das Geheimnis von der Gießkanne unter die
Leute bringen, und dann sei sie für immer im Geredc. Zitternd stand sie
still, und als er sie umarmte, erhob sie sich sogar anf die Zehen und küßte
ihn mit gefchlossenen Augen, über und über mit Rot begossen, aber ohne nur
zu lächeln, vielmehr so ernst und andächtig, als ob sie das Abendmahl nähme.
Reinhart dachte, sie sei zu sehr erschrocken, und hielt sie ein kleines Weilcheu
im Arm, worauf er sie zum zweiten Male küßte. Aber ebenso crnsthaft wie
vorhin küßte sie ihn wieder und ward noch viel röter; dann floh sie wie ein
Blitz davon. . . .

ls er am eifrigsten dabei war, mit vieler Kunst in die Luft zu küssen, alr
-^4-ob er die roten Lippen der Salome küßte, fühlte er sich unvcrsehcns von
zwci Armen umfangen, nnd seine Küsse begegneten denjenigen eines leib-
haftigen Mundes. Erschreckt hielt er inne und wollte aufspringen; allein
Salome licß ihn nicht, sondern erstickte ihn fast mit Küssen und rief laut:
Sich, Liebstcr, so viel Küsse ich Dir jetzt gebe, so viel Blitze sollen Dich treffeu,
wenn Du mir nicht treu bleibst. . . .

(?^ann las er eine Stunde oder länger. Als es am Turmc Mitternacht schlug,
-!^klappte er das Buch zu und horchte üoch eine Weile mit offenen Augen.
Da klopfte es dicht hinter ihm an die Wand, ein altes Mütterchen sagte
vernehmlich. „Ia, ja!" der kalte Luftzug strich über sein Gesicht, die Gardinen
flatterten und dic Decke flog weg. Da sah er schon (das Gespenst) die alte Kratt
in der Mittc des Zimmers gegen die Fensterecke zuschlurfcn, wo die Kommode
stand, und der Mond schien, wie gestern. Er war jetzt doch zicmlich überrascht,
und das Herz klopfte ihm. Abcr wie der ILger, von einem Tier überrascht,
sein Gewchrschloß schnell in Ordnung bringt, stellte Mannelin geschwind scine
Gedanken in eine kleine Reihe, als ob es Polizeileute wären, und sich sclbst
an ihre Spitze. Ohne sich zu rühren, folgte er der Erscheinung aufmerksam
mit den Augen und sah, wie sie an der Kommode taskte und die Kkappe
öffncte. Als sie nun auf dcm Papiere radierte, wjar er schon leise aufgestanden
und ihr auf unhörbaren Socken nachgeschlichen und stand hinter ihrem Rücken.
Das grauenhafte, buckelige Weibchen kratzte, schabte, keuchte und hustete und
blies den Staub wcg, kurz war so geschäftig wie der Teufel, und Mannelin
guckte dem Gespcnst still über die Schulter, bis es fertig war und scin schänd-
liches, heiseres Gelächter aufschlug. Da sagte er plötzlich: „Na, Frauchen,
was treiben Sie denn da?" Wie eine Schlange schnellte das Gespenst empor
und stand um cinen Kopf höher als vorher ihm gegenüber. Mit dem schreck-
lichen Gesichte starrte sie ihm entgegen; aber schon hatte er die Hand auf ihre
Schultern gelegt; dann packte er sie unversehens um die Hüfte, um sie in
die Gewalt zu bekommen und die graue Mantille wegzuziehen. Er fühlte einen
allerdings schlangcnförmigen, aber sehr lebenswarmen Körper, und da sie sich
jetzt in seinen Armen hin und her wand und mit dem Leichengcsicht nahekam,
faßte er unerschrocken die im Monde glänzende schreckliche Nase und behielt
eine abfallende Wachsmaske in der Hand, während Hildeburgs feines Gesicht

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