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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 20 (2. Juliheft)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0087

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zu ihm emporlächelte. Leider küßte er cs sogleich zu verschiebenen Malen
und an vcrschiedenen Stellen, beschränkte sich aber doch endlich auf den Mund,
nachdem derselbe ein unhöfliches: „Du lieber Kerl!" ausgestoßen hatte.

^7>a ein paar Kanarienvögel mit ihrem schmetternden Gesange immer lauter
^^drein lärmten, war einc Art von Tumult in der Stube, von welcheur
hingerissen Lucie und Reinhart sich küßten. Lucie hatte die Rugen voll Wasser
und doch lachte sie, indem sie purpurrot wurde von einem lange cntbehrten
und verschmähten Gefühle, und Reinhart sah deutlich, wie die schöne Glut
sich in dem weißen Gesichte verbreitete. Es war ihnen unmöglich, jeßt in das
Häuschen hineinzugehen; ungeschen, wie sie gekommen, begaben sie sich hinweg,
und erst als sie wieder die Waldwege bctreten hatten, stand Lucie still und
rief: „Bci Gott, jetzt haben wir dvch ein schlimmes Rezept von dern altcn
Logau ausgeführt! Denn daß es mich gelächert hat, weiß ich, und rot werde
ich hoffentlich auch geworden sein. Ich fühle jeht noch ein heißes Gesicht!"
„Freilich bist Du rot geworden, teure Lux," sagte Reiuhart, „wie eine Morgen-
röte im Sommer! Rber auch ich habe wahrhaftig nicht an das Epigramm
gedacht, und nun ist es doch gelungen! Willst Du mir D/eine Hand geben?"

(Sinngedicht)

(Alles war s ch ö n)

^>renchen schenkte Sali eirr Pfeffcrkuchen-Herz, auf dessen einer Seite ein
-vZettelchen klebte mit derr Worten:

„Lin süßer Mandelkern steckt in dem Herze hier,

Doch süßer als der Mandelkern ist meine Lieb zu Dir!"

Und auf der andern Seite:

„Wenn du dies Herz gegessen, vergiß dies Sprüchlein nicht! ,

Viel eh'r als meine Liebe mein braunes Auge bricht!"

Sie lasen eifrig die Sprüche, und nie ist etwas Gereimtes und Gedrucktes
schöuer befunden und tiefer empfunden worden als diese Pfefferkucheusprüche;
sie hielten, was sie lasen, in besondercr Absicht auf sich gemacht, so gut schicn
es ihnen zu passen. „Ach," seufzte Vrenchen, „Du schenkst mir cin Haus!
Ich habe Dir auch eines und erst das Wahre geschenkt; denn uuser Herz ist jetzt
unser Haus, dariu wir wohnen, und wir tragen so unsere Wohnung mit
uns, wie die Schnecken! Andere haben wir nicht!" „Dann sind wir aber
zwei Schnecken, von denen jede das Häuscheu der andern trägt!" sagte Sali,
und Vrenchcn erwiderte: „Desto weniger dürfen wir voneinander gehen, damit
jedes seiner Wohnung nah bleibt!" Doch wußten sie nicht, daß sie in ihrcm
Reden eben solche Witze machten, als auf dem vielfach geformten Lebkuchen
zu lesen waren, und fuhren fort, diese süße einfache Liebesliteratur zu
studieren, die da ausgcbreitet lag und besonders auf vielfach verzierte kleiue
und große Herzen geklebt war. Alles dünkte sie schön und einzig zutreffend-

(Später, als Sali und Vrenchen Hochzeit feiern wollen)
>Aali hob Vrenchen mit seincn Armen hoch empor und schritt durch das
>^Wasser gegen das heubcladene Schiff; aber es liebkoste ihn so heftig unge-
berdig und zappelte wie ein Fisch, daß er im ziehenden Wasser keinen Stand
haltcn konnte. Es strebte, Gesicht und Hände ins Wasser zu tauchen, uud
rief: „Ich will auch das kühle Wasser versuchen! Weißt Du nock> wie kalt
und naß unsre Hände waren, als wir sie uns zum ersten Male gabcn? Fische
fingen wir damals, jetzt werden wir selber Fische sein und zwei schöne große!"
„Sei ruhig, du liebcr Teufel!" sagte >Sali, der Mühe hatte, zwischen dcm
tobenden Liebchen und den Wellen sich 'aufrccht zu erhalten, „es zieht mich
sonst fort!" Lr hob seine Last in das Schiff und schwang sich nach; er hob sie
auf die hochgebettete weiche und duftende Ladung und schwang sich auch hinauf,
und als sie oben saßen, trieb das Schiff allmählich in die Mitte des Stromes
hinaus und schwamm dann, sich langsam drchend, zu Tal.

Der Fluß zog bald durch hohc dunkle Wülder, die ihn überschatteten,
bald durch offenes Land; bald an stillen Dörfern vorbei, bald an einzelnen

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