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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 20 (2. Juliheft)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0089

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gehn, wie die politische Sonne von
Hellas unterging, während der Geist,
über dem sie einst schien, aus eigenem
Lichte weiterlebt. Sie können auch, wie
die Sonnen Roms, Martyrien am
Kreuze beleuchten, rnrd aus dem Ge-
kreuzigten kann eroberrrü Geist in die
Iahrtausende gehn, der viel wichtiger
und viel mächtiger ist, als aller poli-
tische Geist.

Irgerrdwann! Es ist nicht möglich
nur, es ist gewih, daß es ein lichtes
Frgendwann in unserer Iukunft gibt.
Moses sah wcnigstens noch hinein ins
gelobte Larrd, ob wir mit dem Körper-
auge noch in die geretteten Zeiten sehn,
wer weiß es! Aber unser geistiges Auge
reicht ja so weit, wie weit die Lräume
gehn. Die sind Schäume. Darum sollen
sie uns auch kein Zielpunkt sein, darum
sollen sie uns nicht lenken. Aber
gerade nach dicsen Iahren wissen
wir doch auch, wie wahrschcinlich alles
anders kommt, als uns klugen Wachen-
den wahrscheinlich schien. Wir wollen
aus unsern Lrärrmen nicht, was sie
von den Dingen als solchen erzählen,
wir wollen von ihnen nur das Licht.
Das Bewnßtsein, daß es besser wer-
den wird. Und wenn wir den Dunkel-
heiten dcr Gcgenwart mit allem Ernst
nachgehn, feind arrch dem Sclbstbetrng,
entschlosscn zum Schwersten, gcfaßt auf
das Lehte — wir Wollen uns darüber hin
dcn Blick in die Fcrnen wahrcn, dcr
uns das Licht aus der Zukunft als Vor-
schimmer kommcnder Tage heranholt,
dcr uns in unser Gemüt das Licht
hereinholt von Irgendwann. A

Nach der Entscheidung

ie Entscheidung ist gefallen. Das
Ningen von fünf fnrchtbaren Iahren
und, wenn man die Vorgeschichte hin-
zunimmt, eincs Iahrhunderts ist vor-
läufig und scheinbar zn Ende. Die
lehten Tage warcn Tage tiefster Seelen-
qual und schwcrster Entscheidungen. Sie
waren es auch für diejenigen, welche
wedcr der Friedensdelegation, noch der
Weimarer Nationalvcrsammlung an-
gchörten. In Weimar war die Erregung,
die Arbeit und die Ncrvenspannung fast
über das Maß menschlicher Leistungs-
fähigkeit hinausgegangcn und dem-
entsprechend auch in der Tat für einige
Tage ein Chaos eingetrcten. Aber auch

außcrhalb Weimars habcn alle, die
überhaupt Intcresse nnd Verstand für
die furchtbare Schicksalswende hatten,
grenzenlos gelitten und in sich selbst
gckämpft.

Der Grund der Oual war nicht so-
wohl die Härte des Schicksals, die dia-
bolische Politik der Feinde und die
Einsicht in anscheinend unübcrwindbare
Unzulänglichkeiten unser selbst, sondern
die furchtbar verantwortungsvolle Ent-
schcidung über Fricden oder neuen
Krieg, über Unterwerfurrg oder Wei-
gerung. Für beides sprach ungefähr
gleich viel, und zwischen beiden Auf-
fassungen war insbesondere die Frie-
densdelegation und das VWeimarer
Kabinett getsilt. Man hatte zur inneren
Schwierigkeit der Sache und zur Un-
übcrsehbarkeit der Folgen noch den
Gegensatz der beiden Autoritäten, die
am besten über inncre und äußere Lage
unterrichtet waren nnd die schließlich
allein die unbeschreiblich verwickelten
Dinge gerade von ihrem Standpunkt
aus übersehen konnten, weil sie allein
alle Informationen hatten.

Die Friedensdelegation unter der
Führung des Grafen Brockdorff-Rantz-
au, der endlich eine Führcrpersönlichkeit
von Lharaktcr nnd von imporrierender
Intelligenz war, das volle Vertrauen
der Dclegation genoß und den Gegnern
endlrch wicder Respekt vor dem cr-
storben schcincnden deutschen Geist ein-
flößte, war anf Grurrd unsäglich rnüh-
samer Arbeit und sorgfältiger Lrkrrn-
digung dcr fcsten Abcrzcugung, daß das
„Unannehmbar" die einzigc ehrlicher und
klarer Wcise rnögliche Antwort war, daß
dcr dcutsche Gcgcnvorschlag eine die
Konsequcnzen dcr Niederlage ehrlich
zichende und mögliche Fricdenssichcrung
bot und daß daher das „Anannehmbar"
zwar kurze Zeit schwere Leiden über
große Teile Deutschlands verhängen
würde, aber zur endgültigen Entzwci-
ung dcr Entente beim Wicderaufnch-
men dcs Krieges führen müsse. Ein
italicnischer hier anwesender Staats-
mann, dcr die Vorgänge in Paris
genau kannte, hat uns diese Auffassung
bestätigt und berichtet, daß Clemerrccau
in der Tat bedenklich und zögernd
wurde. Denn zu der Wünschbarkeit
cirres neuen Krieges ständen die ver-
schiedenen Teile der Entcnte sehr ver-


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