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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 20 (2. Juliheft)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0090

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schieden; nur Frankreich wollte eine
Aufteilnng Deutschlands. Auch standen
die Völker selbst, denen man ja wcder
den Friedensvertrag, noch den deutschen
Gcgcnvorschlag bekannt zu machen
wagte, dcm ncuen Kriege bedcnklich
gegcnüber. Voraussehung für das Gc-
lingcn dieses zweifellos bedeutenden
und großgesinnten politischen Gedankens
war aber, daß das dcutsche Volk die
neuen Leiden um des großen Zieles
willen zu ertragen willig war, daß es
einmütig hintcr der Brockdorffschen
Politik stand und daß man in Paris
an diescr einmütigcn Entschlossenheit
keinen Zweifel hatte. Die bisherigcn
Erklärungen der Reichsregierung, der
Nationalversammlung und der Einzel-
kabinctte berechtigten dcn Grafen zn
dicser Annahme.

Hier aber setzte nun die gegenteilige
Entwicklung in Weimar ein, die sich
von der von Versailles innerlich immer
weiter entfernte. Nnd zwar waren hier,
während in Versailles Beobachtnngen
und Erkundnngcn der außenpolitischen
Lage allcs bcherrschten, die Gründe der
inneren Politik entscheidend. Fe
mehr man im Lande, namentlich im
Westen, dcm Wicdcraufleben des Krie-
ges als ernsthafter Konsequenz dieser
Politik ins Auge sehen mußte, um sc
mchr cntstand Widcrwille vor neuem
Kricge. Ein absolutes Fricdensbedürf-
nis crfüllte die Massen, die nicht mehr
wollten und nach der Außerung von
kundigen Führern auch nicht mehr
konnten. Die Leute sind körperlich
und seelisch gebrochen durch all die
Leidcn und Stürme der letzten Zeit,
insbcsondere dcr Waffcnstillstandzeit,
die von dcr Ententc ja meisterhaft zur
geistigen Zermürbung und Verwirrung
ausgenützt worden war. Fm Osten war
nach den Bcrichten die Stimmung bes-
scr, da einerscits die Gegncrschaft der
Polen ja nicht so stark ist wie die im
Westen aufgestellte Kriegsmaschine der
Entente und anderseits im Osten der
nationale Bestand viel offener ge-
fährdet ist als im Westen. Doch laute-
ten auch von dort die Berichte der Ver-
trauensmänner unerfreulich. Viele
Gewcrbetreibcnde haben bcreits ihrcn
Frieden mit den Polen gemacht und
richten sich auf neue Erwerbsverhält-
nisse ein; viele Gutsbesitzer ziehen

Polen einer deutschen Nepublik unter
Ebert und Schcidemann vor und gön-
nen „der Rcvolution" jede Niederlage.
Dazu kam die Tätigkeit der Unabhängi-
gen und ihres Anhangs im ganzen
Lande. Ihr Streit mit der Sozial-
demokratie, der von ihnen in allen
denkbaren Formen ausgehende Wider-
stand gegen die Festsetzung einer demo-
kratischen, für sie mit der Herrschaft
des Bürgertums identischen Ordnung,
der grimmige Haß der feindlichen Brü-
der und ihre. Rivalität im Kampf um
die Massen beherrscht ja in Wahrhcit
die ganze innere Situation, wobei die
Unabhängigcn durch die bcdingungslose
Opposition der Nechten gegen die Re-
gicrung dcr „Knoten und Pazifisten"
überall unterstüht wcrdcn. Diese unab-
hängige Agitation hat das Fricdens-
bcdürfnis dcr Massen eingefangen und
dadurch der sozialdemokratischen Partei
das Wasscr vielfach abgegraben. Aus
den Parteiorganisationen des Landes
liefen überall Warnnngen vor bevor-
stehenden schwercn Putschen ein, die
für Iuni gcplant waren, zum Teil ja
auch v-irklich znm Ausbruch gekommen
sind und zum Teil noch dazu kommen
werden; auch berichtet man dic Gcfahr
von Masscnabfällen. Glcichzeitig ka-
men Nachrichten über geplante Putsche
von Nechts; ob mit Recht oder Un-
recht, kann ich nicht entscheiden. Die
Haltung der Freiwilligen-Korps schien
ebenfalls teils nach links, teils nach
rechts nicht ganz zuverlässig. So fand
die Reichsregierung nicht den Rückhalt
für die Brockdorsfsche Politik, den diese
nötig hatte; sie mußte mit eincm all-
gemeinen Drang zum Friedensschluß
rechnen, sobald der Krieg neu auflohte.
Nicht zu vergessen ist, daß zurzeit ganz
Deutschland wimmelt von Berichterstat-
tern und Agcnten dcr Entente, daß die
Unabhängigen ganz offcn mit den
Fremden sprachen und verhandelten,
daß also Clemenceau orientiert war
über die Undurchführbarkcit der Brock-
dorffschen Politik. Erste Zugeständnisse,
unter dem Druck dcs bevorstehcnden
„Unannehmbar" in Randbemerkungen
gemacht, wurden zurückgezogen, in der
Mantelnote das alte diplomatische Ani-
versalmittel der Beschuldigung Dcutsch-
lands als Kriegsursache nnd Verbrecher
aufs schärfste betont. Die letzte Chance

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