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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 21 (1. Augustheft 1919)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0138

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sie ihre eigenen kleinen Beete, wo sie nach Herzenslust säen nnd pflanzen,
gießen und pflücken durften, und wo Sulla, als sie noch sehr klein war,
weiße Perlen gesät hatte, ^damit sie zu einem Halsband heranwachsen
könnten". Da war auch ihr eigenes Gartenhäuschen unter den Flieder-
bäumen mit zwei kleinen Bänkchen und einem niederen Tischchen, wo sie
sich aufhalten konnten, ihre Aufgaben lernen, oder ihre Geschichtenbücher,
die Mutter für sie ausgewählt hatte, lesen, oder mit ihren Puppen spielen
und ihnen ein Festmahl herrichten konnten, das aus weißen Iohannis-
beeren oder Himbeeren bestand, die auf Rosenblättern serviert wurden.
O, und es gab noch mehr tzerrlichkeiten da — und dazu gehörten ganz
besonders die Vorstellungen, die die kleinen Mädchen an diese ganze
Rmgebung knüpften.

Den ganzen Sommer hindurch brachte Mutter oder das Dienstmädchen
die Kinder gleich nach dem Essen in den Garten, und der Diener Lars be--
gleitete sie dann zum Abendbrot wieder nach Hause; in den Ferien waren
sie auch schon vormittags da, und dann brachte ihnen Großmutters alte
Line ihr Frühstück: Butterbrote, wie nur Line sie zurechtmachen konnte,
und jedem ein großes Glas Milch.

Hier im Garten spielten sie alle ihre Kinderspiele, hierher trugen sie
alle ihre Erwartungen, und alles, was sie Großes und Schönes lasen —
besonders in den Gedichtbüchern, die sie über alles liebten —, das erleb-
ten sie dann im Schatten und Sonnenschein des Gartens. Selbst das,
woran sie sich nur schwach und nur in Bruchstücken erinnern konuten,
fanden sie hier wieder.

— In ihren frühen Kinderjahren waren die beiden Mädchen nämlich
einmal auf Reisen gewesen. Der Vater, der immer so rastlos und vou
so sonderbaren Ideen besessen gewesen war, hatte einige Iahre in französischen
Diensten gestanden, und während dieser Zeit hatte Mutter mit ihreu
kleinen Mädchen bei der Großmutter gewohnt. Aber plötzlich wollte Vater
seine Familie bei sich haben, weil er gerade einige Zeit mit ihnen
in Paris verbringen könnte.

Von diesem Aufenthalt hatten die Kinder eine Menge verwirrter
Ideen mit nach Hause gebracht, die sie später nicht mehr so recht aus-
einander halteu konnten. Aber in Großmutters Garten, da gelang ihnen
das doch hin und wieder, und da wurden die Vorstellungen manchmal so
klar, daß sie Namen bekamen.

So war zum Beispiel zwischen den Rosen eine besonders schöne weiße
— wenn die Kinder daran rochen, so waren sie im Bois de Boulogne . . .,
dann tauchte vieles vor ihnen auf: helles Wasser — viele Blumenbeete
auf dem Rasen — und auch auf den Wegen, großen Blumenbeeten gleich,
unzählige buntgekleidete, hüpfende Kinder . . .

Wenn der Akazienbaum blühte, hieß es plötzlich Fontainebleau . . .
Nnd dann wogte es ringsumher süßlich, wie blühende tzaine, die im
hellen Mondschein dufteten . . .

Wenn in der indischen Pagode von den bunten Scheiben blaue und
gelbe Flecken auf den Boden fielen, dann leuchtete eine blaue und gelbe
Helle durch einen stillen, marmorweißen Raum. . . . Nnd dann stand man
unter jener feierlichen Wölbung, wo man kein Wort sprechen durfte,
um den großen Toten nicht zu stören, der da nach seiner schweren Nieder-
lage schlief — in seinem roten steinernen Sarkophage —, während alle
seine Siege ihre Namen ganz leise in seine Träume hineinflüsterten. . . .
 
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