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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 23 (1. Septemberheft 1919)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0232

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„Was hätte Deutschland im Fall des
Sieges getan?"

ie Neutralen müssen dem Weltherr-
scher gehorchen — freiwillig oder
unfreiwillig. Viele empfinden das mit
Empörung, die schweizerische und die
skandinavische Presse beweist das jetzt.
Aber es gibt auch Neutrale, welche es
gern sehen würden, sagen zu können,
dah sie freiwillig, ja sogar von Rechts
wegcn gehorchten. Ihncn liegt daran,
dem Sieger mit dcr Macht auch das
Necht zuzusprcchen. Diese Herrschaften
nun haben einen neuen Grund entdeckt,
um den Pariser Friedcn zu rechtferti»
gen. Er ist recht einfach; er lautet:
„Deutschland hätte es nicht besser ge-
macht."

Das ist sehr bequem; man enthebt
sich damit der Unannehmlichkeit eines
Protestes, indem man zugleich über°
legene Sittlichkeit markiert. Man tritt
auf ein Gebiet über, auf dem sich alles
behaupten und bestreiten läßt.

Behaupten: man braucht nur auf
die Friedenschlüsse unsrer Generale im
Osten hinzuweisen.

Bestreiten: denn diese Frieden wur-
den in weitergehendem Krieg und unter
dem Druck der Aungersnot gegen klar
gesehenes und ausgesprochenes Zu-

kunftsinteresse geschlossen als ^Brotfrie-
den". Sie beweisen gar nichts für Frie-
den, wie man sie nach einem Gesamt-
jieg geschlossen hätte. Aber auch sie,
geschweige die „preußischen" Frieden

von s86H, 66, 7s bieten nicht entfernt

Ähnliches wie die satanische Nieder-

tracht — oder soll man lieber sagen:
die groteske Albernheit? — eines Frie-
dens, der dem Anterlegenen die formelle
Anerkennung einer Behauptung ab-
zwingt, die in seinem Munde Lüge ist,
der ihn also zu lügen zwingt. Genau
so, wie man in frühcren Zeiten „Ge-
ständnisse" auf der Folter erzwang.

Man hielt diese Art der Rechts-
pflege für sehr primitiv und man hielt
sie für überwunden. Für die Sieger
von heute ist sie es nicht. Und viel-
leicht werden die Aerren Raubmördcv
der Zukunft es beguem finden, sich ge-
gebenenfalls einen Unschuldbeweis die»
ser Art zu verschaffen. Sie könnten
etwa ihre Opfer mit dem Knebel im
Mund unterschreiben lassen, daß sie an»
gefangcn hätten und daß ihre Berau-

bung nur verdiente Bestrafung sei.
Vielleicht findet sich kein bürgerliches
Gericht bereit, solche Geständnisse zu
Buch zu nehmen. Und vielleicht auch
wird die Weltgeschichte das nicht tun.

Im Grunde ist indes diese Schuld-
klausel das Beste im ganzen Vertrag,
zumal dadurch, daß sie gegen unsern
Einspruch aufrechterhalten blieb. Nichts
könnte den Geist dieses Friedens kür-
zer und deutlicher zeichnen als diese
offensichtliche crfolterte Lüge. Aber wie
dem sei, — die eigentliche Frage ist
ja eine ganz andre.

Es gibt eine Pflicht, Unrecht abzu-
wehren, wo man es antrifft, zum min-
desten aber es als das, was es ist, zu
brandmarken, damit es nicht unver-
sehens Necht werde. Und es gibt eine
andere Pflicht, eine religiöse, nicht
selbstgerecht andere zu richten, sondern
sich bewußt zu halten, daß man bei
gleichen Verhältnissen, gleicher Er°
ziehung zum Beispiel, auch selbst glei-
cher Schlechtigkeit fähig sein möchte.
Wenn man diese beiden Pflichten vcr-
mengt — was man freilich gcrn tut —,
so gibt es überhaupt kein Recht mehr
auf weitcr Welt, als das des Stärkeren.

Wer das Unrecht dieses Friedens
mit der Vermutung beschönigt, daß
Deutschland im gleichen Fall ähnlich
gehandelt haben könnte, der vergißt,
daß er in diesem Falle eben die Pflicht
gehabt haben würde, gegen Deutschland
zu protestieren.

Aber nachdem man vier Iahre lang
sich über die bloße Vermutung aufge-
regt hat, Deutschland könne es auf einen
Vergewaltigungsfrieden abgesehen ha-
ben, so hat man keine Entrüstung mehr
übrig für den wirklichen Vergewalti-
gungsfrieden, nun er von anders her
da ist. T

Danaergeschenke

iner der Hauptsatanismen des Wil-
sonfriedens ist die Verhetzung aller
gegen alle in Europa. Man warf je-
dem unsrer Grenznachbarn einen Fetzen
Land hin, und zwar möglichst mit vor-
herrschend deutscher Bevölkerung; denn
sonst HLtte ja Deutschland am Ende gar
sich mit den Abtretungen zufrieden ge°
ben können. Mit klar ersichtlichen Ge-
rechtigkeiten gibt sich ein Volk mit der
Zeit in der Regel zufrieden. Das aber

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