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Krüger, Thomas [Hrsg.]; Stephan, Hans-Georg [Hrsg.]; Raddatz, Klaus [Gefeierte Pers.]; Korbel, Günther [Bearb.]; Korbel, Günther [Bearb.]; Raddatz, Klaus [Bearb.]
Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens (Heft 16): Beiträge zur Archäologie Nordwestdeutschlands und Mitteleuropas — Hildesheim: Verlag August Lax, 1980

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.65795#0345
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vereinzelt, nicht im Zusammenhang, was möglicherweise Rückschlüsse auf Frauenverbände
zuließe. Als ein typisches Beispiel kann das große Kurganfeld ca. 55 km östlich von Kiev an-
gesehen werden, das sich in südöstlicher Richtung auf Perejaslav-Chmel’nickij hinzieht. Hier
wurden 1961—63 Ausgrabungen durchgeführt, die sich um die Vogelfarm von Staroe kon-
zentrierten, dabei wurden 18 skythische Kurgane untersucht (IL’INSKAJA 1966). Im Kurgan
15 fand sich die Bestattung einer jungen Frau mit typisch weiblichem Inventar wie zwei Gold-
drahtohrringen, einer Spindel, einem Spinnwirtel u. a. Neben der linken Hand lagen sieben
Bronzepfeilspitzen. Nach der anthropologischen Bestimmung war die Bestattete nicht älter
als 18 Jahre alt geworden, ihre Wangen waren geschminkt und auf den Wangenknochen noch
deutlich rote Farbspuren zu erkennen (IL’INSKAJA 1966, 161; ROLLE 1979, Katalog 134).
Seit 1974 werden die Ausgrabungen in der einige Kilometer entfernten Grabhügelgruppe Mir-
noe fortgeführt, dabei wurde ein weiteres ,,Amazonengrab” im Kurgan 3 von Mirnoe I ent-
deckt. Es handelt sich um die Bestattung einer 25—30 Jahre alten Frau (anthropologische Be-
stimmung von S. I. Kruc) mit goldener Halskette, Importkeramik, Spiegel, der unter dem
Schädel lag, zwei Spinnwirteln, Speisebeigaben sowie pfeilgefülltem Köcher und Messer. Ein
zweites Frauenskelett, am Fußende des ersten und lediglich mit einer Perlenkette versehen,
stellt vermutlich eine mitgetötete „Dienerin” dar5.
Das Problem der Interpretation dieser Gräber ist von verschiedener Seite behandelt worden.
GRAKOV (1947), der vom sauromatisch-sarmatischen Material ausging und die archäologi-
schen Befunde mit den vielfältigen schriftlichen Nachrichten in Übereinstimmung zu bringen
suchte, kam zu der Auffassung, wie der Titel seines Aufsatzes bereits andeutet, Zeugnisse für
die Gynekokratie als Überreste eines Matriarchats vor sich zu haben. Waffenfunde in den
Frauengräbern waren ihm dafür eines seiner wichtigsten Argumente. Diese Auffassung wird
von vielen sowjetischen Forschern geteilt. K. F. SMIRNOV (1964, 200 ff.), A. P. SMIRNOV
(1971), in sehr differenzierter Form auch CHAZANOV (1970; 1975, 85 f.) kamen zu ähnli-
chen Schlußfolgerungen. Andererseits hat sich §ILOV (1959, 430 ff.) mit gewichtigen Grün-
den gegen diese Interpretation ausgesprochen. Er weist darauf hin, daß Frauengräber mit
Waffen auch aus ganz anderen Zeitabschnitten bekannt sind, für die es schwieriger Kon-
struktionen bedarf, um vom Vorhandensein matriarchalischer Überreste zu sprechen. Für
§ILOV bedeutet das Vorhandensein von Waffen in den Frauengräbern seines Arbeitsgebie-
tes, dem unteren Wolgagebiet, daß die Sauromatinnen zusammen mit den Männern oder
auch selbständig an Kämpfen teilnahmen und auf die Jagd zu gehen pflegten, wie dies die
Schriftquellen in der Tat auch schildern. Eine größere Anzahl von Frauengräbern des Wolga-
Uralgebiets, teils auch mit Waffen ausgestattet, werden in der Literatur aufgrund auffälliger
ritueller Besonderheiten ihrer Bestattung als Gräber von „Priesterinnen” gedeutet. Als we-
sentliches Argument dienen dabei steinerne sog. Tragaltäre, häufig mit Tierstilschmuck, die
anscheinend ausschließlich in Frauengräbern vorkommen. SMIRNOV (1964, 162 ff.) führt
45 Funde aus Sauromatien auf. Eine Reihe von Forschern sieht darin Opferaltäre bzw. Feuer-
altäre für verschiedene religiöse Zeremonien und interpretiert auch die oft im Verband damit
auftretenden Farbreste in dieser Richtung; über einen interessanten Neufund aus dem Oblast’
Aktjubinsk s. KADYRBAEV, KURMANKULOV (1978).
Diese Befunde berühren das hier angeschnittene Problem der Interpretation von „Amazo-
nengräbern” nur am Rande. Für die Vertreter der Hypothese von der Gynekokratie bei den
Sauromaten-Sarmaten sind jedoch Waffenfunde zum einen und das Ausfüllen von
Priesterinnen-, vielleicht auch Wahrsagerinnenfunktionen zum anderen, wichtige Argumen-
te, die sie m. E. enger miteinander verknüpfen als dies sein muß. Während für die Sauroma-
ten in den Schriftquellen Amazonen direkt erwähnt werden, haben wir für Skythien — außer
5 Für die Mitteilung danke ich dem Leiter der Expedition V. A. Kruc, Kiev.

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