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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 22.1979

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Nr. 2
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Müller, Dietram: Was soll die Jugend lernen?: die Meinung des Aristoteles über Lehrstoffe und Lernziele
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https://doi.org/10.11588/diglit.33076#0025

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Was soll die Jugend Lernen?
Die Meinung des Aristoteles über Lehrstoffe und Lemziele

In der neu eröffneten Diskussion über Ziele und Inhalte des Schulunterrichts
mehren sich die Stimmen, die von einer immer weitergehenden Spezialisierung
und Aufspaltung der Lehrpläne abrücken und zu einer „allgemeinen Bildung”
zurückkehren wollen. Deren Gegenstände im einzelnen zu bestimmen, ist jedoch
eine Aufgabe, die immer zu ganz unterschiedlichen Lösungen führen wird. Ent-
scheidendes wäre aber schon gewonnen, wenn ein grundsätzlicher Konsens über
die Notwendigkeit solcher „allgemeinbildender” Schulfächer überhaupt erzielt
werden könnte.
Doch der Ausdruck „Notwendigkeit” ist hier eigentlich unpassend. Unerläß-
lich für das Bestehen des Lebenskampfes sind solche Fächer ja gerade nicht; im
Beruf und im praktischen Alltag kommt man ohne sie aus. Im Gegenteil, sie
sind etwas Zusätzliches, nicht durch den Zwang der Existenzerhaltung Diktier-
tes, geradezu Luxuiröses; aber gerade die Freiheit, sich mit Dingen zu befassen,
die jenseits der Sicherung des Daseins liegen, macht ja die Schönheit und Beson-
derheit des menschlichen Lebens aus. Die „allgemeinen“ Fächer müssen daher
ein Gegengewicht gegen die Spezialisierung des Bemfs sein. Sie sollen den Grund
für außerfachliche geistige Interessen legen, zur Offenheit und Aufnahmebereit-
schaft für fremdes Geistesgut erziehen, Anregungen für sinnvolles Tun in der
freien Zeit geben.
In der jüngsten Vergangenheit, als „praktische Verwertbarkeit“ oder „ge-
sellschaftliche Relevanz“ die obersten Kriterien für die Beurteilung eines Schul-
fachs bildeten, versuchten auch die historischen und literarischen Fächer, sich
diesem Trend unterzuordnen. Diese Versuche, die sich in zahllosen Curricula
niedergeschlagen haben, waren von vornherein zum Scheitern verurteüt, wirkten
zum Teü sogar hilflos oder lächerlich, da sie dem Wesen dieser Fächer nicht ge-
recht wurden, sie fast zur Selbstaufgabe zwangen. Zur Zeit scheint eine Neube-
sinnung auf die eigentlichen Aufgaben solcher Fächer einzusetzen.
Es mag verwundern, daß so etwas Modernes wie die Diskussion über Lern-
ziele und Lehrinhalte schon im Altertum stattgefunden hat. Um so erstaunter
wird man feststellen, daß Aristoteles, dessen 2300. Todestag wir im letzten Jahr
begingen, die heute so aktuelle Frage nach zweckbestimmter oder zweckfreier
Büdung ausführlich erörtert und einen Standpunkt einnimmt, dem die heutige
Büdungsplanung allmählich näherrückt. Er unterscheidet zwischen zweckbe-
stimmten, unumgänglich notwendigen und zweckfreien, freiwilligen Gegen-
ständen der Erziehung. Diese faßt er unter dem Begriff „Musisches“ zusam-
men, der also nicht nur unsere heutigen musischen Fächer im engeren Sinn,
sondern auch die Beschäftigung mit Literatur und Geschichte mit umgreift.
Die Wichtigkeit, die Aristoteles Erziehungsfragen beüegt, läßt sich an der zen-
tralen Stellung ermessen, die sie in seinem staatstheoretischen Hauptwerk ein-
nehmen. Aristoteles hält ein Funktionieren des Staates nur für möglich, wenn

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