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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 22.1979

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Schmalzriedt, Egidius: [Rezension von: Manfred Fuhrmann (Bearb.), Aristophanes, "Die Wolken"]
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Aristophanes: „Die Wolken“.Bearbeitet von Manfred Fuhrmann. Verlag Artemis & Wink-
ler, München 1977. 92 S„ br., 12,80 DM
Der Witz ist das Lebenselixier der Komödie. Wo er nicht verstanden wird oder nicht an-
kommt, da ist die Komödie tot. Das ist der Hauptgrund dafür, daß es in unserem Jahr-
hundert zwar eine ganze Reihe sehr beachtlicher Inszenierungen antiker Tragödien auf der
Bühne zu sehen gegeben hat, daß man dem Komödiendichter Aristophanes jedoch im mo-
dernen Theater nur höchst selten begegnet und er nie richtig Fuß fassen konnte. Sein Witz,
sehr facettenreich, fast kabarettistisch, aber primär immer kultur- und zeitkritisch ausge-
richtet, lebt von der kulturellen und politischen Szene seiner Tage, und das Athen des fünf-
ten vorchristlichen Jahrhunderts ist für das heutige Publikum nun einmal eine fremde,
kommentarbedürftige Welt. Die „Lysistrate“ mit ihrem auf einer allgemein menschlichen
Situation basierenden monothematischen Vorwurf bildet zu einem gewissen Grad eine
Ausnahme, die die Regel für die übrigen zehn Stücke bestätigt.
Ist man der Meinung, daß eine Komödie aus solch einer fremden Kulturszene etwas
enthalte, das es auch dem heutigen Publikum vorzustellen lohne, so bleibt als einziger
Ausweg: nicht nur Wörter und Sätze, sondern auch die Szenerie einzudeutschen, also das
Stück bei der Übersetzung so zu bearbeiten, daß sein Witz samt der darin versteckten
„Botschaft“ ankommt.
Der Konstanzer Altphilologe Manfred Fuhrmann hat dieses Unterfangen vor einigen
Jahren zusammen mit Günther Fleckenstein, dem Leiter des Deutschen Theaters in Göt-
tingen, und mit dessen Chefdramaturg Norbert Baensch gewagt. Herausgekommen - und
jüngst im Druck erschienen — ist eine ebenso geglückte wie amüsante Version der „Wol-
ken“, orientiert am kulturpolitischen Hintergrund unserer siebziger Jahre.
Die Grundstruktur der Handlung konnte Fuhrmann unverändert lassen. Ein ungebil-
deter Bauer, der sich bei seiner Heirat übernommen hat, wird durch den aufwendigen Le-
bensstil von Frau und Sohn in Schulden getrieben und läßt daher seinen Sohn in jener
Art von Advokaten- und Redekunst unterweisen, die es ihm möglich machen soll, die
Rechtsansprüche seiner Gläubiger als unrechtmäßig erscheinen zu lassen. Zum Lehrer
wählt er Sokrates, der hier als repräsentativer Ausbund der sophistischen Aufklärungsbe-
wegung jener Zeit fungiert, dargestellt als extrem rationalistischer und amoralistischer
Atheist. Der Unterricht ist nur zu erfolgreich: Der Sohn verprügelt den Vater und beweist
ihm obendrein, daß er das zu Recht tut. Darauf weiß der betrogene Betrüger nur noch mit
Gewalt zu reagieren: Er steckt die Denkerbude des Sokrates in Brand.
Um den aktuellen Zeitbezug zu gewinnen, aus dem der Witz resultiert, transponiert
Fuhrmann das sophistische Milieu des Jahres 423 v. Chr. in die Hochschulsituation un-
serer siebziger Jahre. Beispielsweise muß der angehende Student seinen Intelligenzquo-
tienten ermitteln lassen und ein Propädeutikum durchlaufen, kommt aber wegen schlech-
ter Durchschnittsnoten nur zu einem Parkstudium. Das Schlagwortmaterial der Sophistik
wird durchgängig durch die seit Anfang unseres Jahrzehnts immer mehr zum Jargon ver-
kommende Sprache „linker“ Gesellschaftskritik ersetzt. Statt der Attacken gegen die po-
litischen Verhältnisse in Athen hagelt es Seitenhiebe gegen Luftverpestung, die Folgen der
Gemeindereform, die überhandnehmende Gesinnungsschnüffelei. Der gewalttätige Schluß
wird als Ausfluß typisch kleinbürgerlich-faschistischer Ideologie entlarvt.
Der alte Aristophanes war eher konservativ als progressiv, und auch Manfred Fuhrmann
macht aus seiner Abneigung gegen manche neueren Zeiterscheinungen keinen Hehl. Diese
geistige Verwandtschaft ist sicher der Hauptgrund, weshalb die Transposition vom fünften
Jahrhundert v. Chr. ins zwanzigste n. Chr. so schlüssig gelingen konnte. Der alte Aristo-
phanes, das scheint gewiß, hätte seine Freude an Fuhrmanns Bearbeitung, könnte er
ihrer Aufführung beiwohnen: Die moderne Version ist vom originalen Geist belebt.
Egidius Schmalzriedt (aus: FAZ)

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