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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 22.1979

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Nr. 2
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Schulz, Eberhard: Der Traum der weißen Tempel: das Deutsche Archäologische Institut feiert sein 150jähriges Bestehen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33076#0027

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nem Wortstreit der Ideen, der Fundberichte und einer neuen Fortsetzung der Lehre: wa-
rum und was Altertumswissenschaft eigentlich sei. Es werden in einem zweitägigen Kol-
loquium Stadtlandschaften des Altertums vorgestellt werden. Es wird - wie ganz natür-
lich - der Lebenskreis der klassischen Antike durchbrochen, seine lange hochgehaltenen
Normen werden nicht mehr ganz so hoch gehalten - doch beiseite gestellt sind sie noch
nicht. Der Modellcharakter der Antike - das ist es ja - lebt so oder so weiter unter uns fort.
Man kann Zweifel daran hegen, ob die These der „edlen Einfalt und stillen Größe“,
mit der einst Winckelmann in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die Antike ins Be-
wußtsein der Gelehrten und der Gebildeten rückte, mehr ein Programm als im eigentli-
chen Sinne eine Erkenntnis gewesen sei - oder ein Irrtum. Wenn aber dies, so hat sie als
eine der schöpferischsten Irrtümer unter der letzten Generation des achtzehnten Jahrhun-
derts gewirkt. Sie hat den europäischen Klassizismus erzeugt und auf den Weg gebracht.
Und die Reihe der Namen, die Medaillons, die Porträts und Textauslagen, die jetzt in der
Ausstellung „Berlin und die Antike“ versammelt sind, bilden eine der glänzendsten Galerien
der Geistesgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts in so dichter Folge. Barthold Niebuhr,
Verfasser der ersten römischen Geschichte, der Theologe und Prediger Schleiermacher, der
Platon übersetzte, Hegel und die beiden Brüder Schlegel bilden den geistigen Hintergrund.
Als 1829 in Rom das „Institut für Korrespondenzen“ („Institute di corrispondenza
archeologica“) gegründet wurde, geschah es, um Ordnung in die Überreste der Alten Welt
zu bringen. Noch stieß und stolperte der Fuß bei jedem Schritt auf antike Ruinen. Wie
Piranesi es uns in seinen Stichen überliefert hat, so sah es wirklich überall aus. Die „Kor-
respondenzen“ waren Berichte von überall. Das Institut war selbstverständlich für Aus-
länder offen, konnte aber nicht ohne Hilfe des preußischen Kronprinzen ins Leben ge-
rufen werden. Von Rom aus machte man sich auf in das Land, wo „die heilige Flamme
des Griechentums“ leuchtete (so noch von Wilamowitz-Moellendorff in seiner Ansprache
1929).
Das Griechentum als leibliche Erscheinung, Rom aber als politisches System, fügten sich
beide zusammen. Der Schritt der Säulen, der elastische Zug der Kanneluren, die gelassene
Hoheit der Tempel, ihre „Autarkie“ (Gruben) und endlich die freie Körperlichkeit der Ge-
stalt , bildeten ein Gegenideal, das im Norden seine große Wirkung ausübte.
Der Modellcharakter dieser mehr geglaubten und oft weniger erlebten antiken Welt -
weder Winckelmann noch Goethe noch Burckhardt kannten Griechenland, obwohl diese
beiden die Tempel von Paestum gesehen, Goethe mit einigem Erschrecken, und Burck-
hardt die Reliefs vom Parthenon betrachtet hatte, die Eigin Marbles in London - der
Modellcharakter der Antike hatte diese Ausstrahlung besessen, in der Fürst und Dichter
und Bürger sich vom Vorbild des Klassizismus leiten ließen, nicht zum geringsten in Preus-
sen und, wie es die Ausstellung beweisen will, in Berlin. Berlin wurde antikisch mit dem
Brandenburger Tor von Langhans, mit Schinkels Neuer Wache und dem Alten Museum wie
damals keine andere Stadt in Europa. Das Alte Museum, ganz unorthodox mit der Kette
korinthischer anstatt dorischer Säulen geschmückt und gegenüber dem königlichen Schloß
emporgehoben, wird 1824 entworfen und in fünf Jahren vollendet, während als Zwillings-
unternehmen das Britische Museum, wenig später begonnen, bis in die vierziger Jahre hinein
weitergebaut wurde. Um 1800 war Europa im Zenith des historischen Selbstbewußtseins.
Der Klassizismus war seiner ganz sicher, die Grenzen einer höheren Welt berührt zu haben.
Die Grabungswissenschaft, die Funde, die in Deutschland später kamen als in England
und Frankreich, wo man kolonialen Spuren folgte, haben merkwürdigerweise zuerst nicht
pragmatisch gewirkt. Sie haben die „elysische Vision“, die Schiller in dem Gedicht „Die
Götter Griechenlands“ (1788) beschrieb und deren Wirkung an den deutschen Gymnasien
und Hochschulen man kaum übertreiben kann, nicht korrigiert, sondern eher noch be-
kräftigt und -vorangetrieben. Ernst Curtius, der Prinzenerzieher am preußischen Hofe, hat
mit einer leichten Überhöhung des Gefühls und mit seiner Ansteckungskraft endlich die
Ausgrabung von Olympia 1874 in Szene gesetzt. Die Mittel des Deutschen Reiches waren
bewilligt. Der Hermes des Praxiteles wurde gefunden und begrüßt, eine heute nach Ge-
schmack, ja nach ihrer griechischen Identität doch sehr angezweifelte Entdeckung.

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