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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 29.1986

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Offener Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.35877#0019

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Offener Brief

Sehr geehrter Herr Calaminus! 5. Dezember 1985
Zur "Phonocaseta secunda« möchte ich mich kurz äußern, ausführlicher zu Ihrer Frage
«Sind Eure Stammtische auch immer so?« (unsystematisch).
An die Kassette sind Sie wahrscheinlich mit zu hohen Erwartungen herangegangen,
die aus Ihrer musischen Begabung und dem Wunsch, den Tonträger im Unterricht zu
verwenden, verständlich sind. Doch haben die Bearbeiter der Kassette keine Ihren -
verständlichen und berechtigten — Interessen entsprechenden Ziele gesetzt.
Zu unserem Duisburger Cesprächskreis ist folgendes zu sagen: Uns kommt es darauf
an, so viel wie möglich lateinisch und nur in Ausnahme- oder Zweifelsfällen kurz
deutsch zu sprechen. Das flüssige Gespräch hat den Vorzug vor der Phonetik, an die
wir uns aber fortschreitend gewöhnen, manchmal freilich mit einem Lächeln, wenn
uns der Abstand von (falsch) Gelerntem, wofür Sie mit Recht auch mundartliche Be-
sonderheiten (wir stammen aus allen deutschen Sprachgebieten) verantwortlich ma-
chen, allzu kraß erscheint. Daß Sie mundartfrei mit akzentfrei gleichsetzen, bzw.
nachträglich erklärend gleichgesetzt haben, war von Dr. Eichenseer nicht als selbstver-
ständliche Einsicht zu erwarten. Unserem Gesprächskreis gehören außer Philologen
auch drei Theologen (katholisch) und je ein Jurist, Mediziner, Diplomingenieur und
Verleger an. Mich als Philologen beeindruckt und beunruhigt zugleich, daß die Vertre-
ter anderer Berufe in ihrer Sprechfähigkeit abseitsstehende Fachkoliegen übertreffen.
Der Gründer unseres Kreises ist Theologe und Sohn eines Altphilologen, dem er eine
gute Schulung in lateinischer Grammatik und Lektüre dazu eine beachtliche allgemei-
ne Bildung verdankt. Da er außerdem neusprachtich begabt ist, wird er auch zur Seel-
sorge der britischen Rheinarmee mit herangezogen. Ein beachtlicher Anteil auch neu-
sprachlich Interessierter ist für unseren Kreis kennzeichnend, unter anderem eine Da-
me, die als Latinistin und Anglistin an ihrer Habilitationsschrift für Anglistik arbeitet.
Ich selbst habe ohne Lehrbefähigung über ein Jahr Französisch und in Vorbereitung
von Studienreisen mehrfach Neugriechisch unterrichtet. Ein weiterer Teilnehmer
spricht und schreibt Polnisch.
Für meine eigene Person vertrete ich die Meinung und zugleich die Forderung an
mich selbst, daß aus unserer Ausbildung durch Stilübungen sowie dem ständigen Un-
terricht in Grammatik und der Lektüre von Schriftstellern mit sprachlichen und stilisti-
schen Eigenheiten eine selbstverständliche sprachliche Aktivität erwachsen muß, oh-
ne daß deshalb Interpretation, Sprachbetrachtung und Fragen der Ästhetik vernachläs-
sigt werden; es gilt, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Freilich gehen in Be-
rufskreisen die Meinungen über die erste Forderung auseinander, sollten aber nicht
dazu führen, sprachlich aktive Kollegen in die Rolle von Sonderlingen oder Rückstän-
digen zu drängen. Dermaßen Abqualifizierte müßten und könnten sonst Gegenangrif-
fe Vorbringen. Für alle Gesprächsteilnehmer — Philologen und Nichtphilologen — ist
es allerdings unvorstellbar, zwei Stunden über die lateinische Sprache und ihre Vorzü-
ge aber nicht in ihr zu sprechen. Wer dies erwartet hat, ist schnell aus unserer Runde
ausgeschieden.

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