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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 29.1986

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Nr. 4
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Buchbesprechungen
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Königer, Wolfgang: [Rezension von: Gerhard Wirth, Philipp der Zweite]
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Waiblinger, Franz Peter: [Rezension von: Westphalen, Klaus (Hrsg.), Professor Unrat und seine Kollegen. Literarische Porträts des Philologen]
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https://doi.org/10.11588/diglit.35877#0122

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gründlicher Kenntnis. Der Verf. versteht es, die schillernde Persönlichkeit eines Mannes deutlich
zu machen, der nur 47 Jahre alt wurde, nur 24 Jahre ein Volk mit barbarischen Zügen am Rande
der griechischen Welt regierte, seinen dadurch verständlichen, alles Dagewesene weit überstei-
genden Wunsch nach Aneignung griechischer Zivilisation, die - auch von Demosthenes nicht ge-
leugnete - Ausnahmeerscheinung als Herrscher, Heerführer, Organisator. Teils durch militäri-
sche Aktionen, teils durch friedliche Annexion brachte er das Umfeld Makedoniens in seine
Hand (Illyrer, Thraker) und griff im Dritten Heiligen Krieg nach Mittelgriechenland; überChairo-
neia und den Korinthischen Bund als Friedensinstrument führte der Weg in den Perserkrieg. Da-
bei sind Philipps Bemühungen um Athen, das geistige Zentrum, nie abgerissen. Sein Charme und
seine Tapferkeit, sein schrankenloser Ehrgeiz und sein Expansionsdrang, die Ausnutzung aller
Schwächen der Griechen durch Unterwanderung, Betrug, Korruption und Grausamkeit machen
für die Zeitgenossen sein Verhalten unkalkulierbar, zumal ihnen die historische Einsicht in die
Notwendigkeit einer Einigung Griechenlands fehlen mußte. ,,Der Widerspruch zwischen der
Moralität seiner Praktiken und seiner Arete wurde niemals gelöst" (S. 170).
WOLFGANG KÖNIGER
Professor Unrat und seine KoBegen. Literarische Porträts des Phi/o/ogen. Pierausgegehen und ein-
ge/eitet von K/aus Westphaien. Bamberg (C. C. Büchners Veriag) 7 986.
,,lch - mit meinem Latein ..." stammelt Monsieur Piquedent, ein kümmerlich bezahlter Studien-
aufseher und Lateinlehrer, als ihm ein verliebtes Fräulein vorschlägt, sich zwecks baldiger Ehe-
schließung doch selbständig zu machen. In dem Seufzer liegt beides: leidenschaftliche Liebe zur
Sprache, Philologie im eigentlichen Sinn also, und Schmerz darüber, daß diese Liebe nicht so an-
erkannt wird, wie sie es verdiente. Nicht alle der vierzehn von Klaus Westphaien präsentierten
Philologen gewinnen so leicht unsere Sympathie wie Guy de Maupassants bescheidener Monsi-
eur Piquedent; die Literatur kennt - wie die Wirklichkeit - auch den von sich eingenommenen,
kleinlichen, rücksichtslosen, ja grausamen Lehrer, der seine Leidenschaft zu einem Herrschafts-
instrument verstümmelt, um zu kompensieren, was ihm an wirklicher Macht abgeht. Am ein-
dringlichsten schreibt wohl Alfred Andersch die subtile psychische Gewalt, die in einer harmlo-
sen Grammatikstunde freigesetzt werden kann. Zum Glück gehört diese Form des Unterrichts
der Vergangenheit an, und es fehlt nicht an Beispielen für Philologen, die aus den großen Gegen-
ständen ihrer Leidenschaft die Kraft gewinnen, dem Geist oder Ungeist der Zeiten zu widerstehen.
So versucht in einer Erzählung von Alfred Döblin der Griechischlehrer seinen vom Nationalso-
zialismus infizierten Schülern gegen ihren Protest zu erklären, warum die Tat der sophokleischen
Antigone so viel mehr Gewicht hat als die Staatsräson, gegen die sie verstößt - es ist sein letzter
Unterricht in der Klasse. In einer Geschichte von Jan Drda begegnet uns ein Lehrer, der seinem
Spitznamen ,,Das höhere Prinzip" größte Ehre macht, weil er seine aus antikem Denken stam-
menden ethischen Normen auch dann nicht verleugnet, als seine Existenz auf dem Spiel steht.
Vierzehn Geschichten, darunter Schulgeschichten von Hermann Hesse, James Joyce, Franz Wer-
fel, Thomas und Heinrich Mann: sie werfen Licht und Schatten auf die Philologen, die den Geist
der Texte lebendig machen oder ,,mit schauderhafter Pedanterie" zerkrümeln. ,,Der Philologe ist
(...) eine zwiespältige Figur", heißt es in der Einleitung. ,,A!s Vermittler und Interpret der geisti-
gen Welt müßte er hohes Ansehen genießen, doch weit gefehlt: Nicht selten spielt er stattdessen
die Rollen des Clowns, des Pedanten, sogar des Sadisten."
Dieser fatalen Ambivalenz geht der Herausgeber nach, indem er das Philologenbild in der Litera-
tur - ein schöner Einfall - mit den Beobachtungen vergleicht, die Theodor W. Adorno 1965 in sei-
ner Rede ,,Tabus über dem Lehrberuf" vorgetragen hat. Nicht weniger als Adornos Bemerkun-
gen dürften auch diese literarischen Porträts zu unserer Selbsterkenntnis beitragen. Daß sie oben-
drein manchmal spannend, in jedem Fall aber unterhaltsam sind, macht die Lektüre dieses Bänd-
chens besonders reizvoll.
FRANZ PETER WAIBLINGER

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