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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 29.1986

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Nr. 3
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Aufsätze
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Burnikel, Walter: Medias in res
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https://doi.org/10.11588/diglit.35877#0069

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Aufsätze

Medias in res
Die in den letzten Heften des Mitteilungsblattes geführte Diskussion hat alte Fragen in
Erinnerung gerufen: die nach der richtigen Aussprache des Lateinischen und die nach
dem Sinn des Lateinsprechens nach Art der Latinitas viva. Solche Fragen könnte man-
cher für unerheblich halten, die Beschäftigung mit ihnen für Spielerei. Dieses odium
verlieren sie schnell, wenn wir sie mit unserem Schulalltag in Beziehung setzen, wenn
wir in medias res gehen und z.B. fragen, ob, in welchem Umfang und in welcher Form
das Lateinsprechen, allgemeiner: die Mündlichkeit in unseren Klassen eine Funktion
haben kann, d.h. zu den allgemein anerkannten Lernzielen einen im Sinn des Ganzen
hilfreichen Beitrag leistet. Die Einschränkung ,,hilfreich im Sinne des Ganzen" ist un-
umgänglich. In der Unterrichtspraxis der Lateinlehrer sind ja zahllose akzessorische
Übungen und Bereiche vertreten, die das Zentrum unserer Bemühungen — auf der
Grundlage eines systematischen Grammatikunterrichtes bedeutende lateinische Tex-
te, vorwiegend aus der Antike, zu lesen und zu interpretieren — nicht treffen oder die,
wenn sie es treffen, eher nebenbei, nicht notwendig treffen. Was dem einen gelingt,
sagen wir: seine Neigung zu Dialog und Spiel oder der Blick auf Textkritisches oder die
Einbeziehung der Methoden der Dependenzgrammatik, weil er es aus dem Fundus
seiner Kenntnisse und seines Herzens tut, kann dem, der es halbherzig und ohne Sou-
veränität tut, gründlich mißlingen. Jeder von uns hat sein großes Steckenpferd und sei-
ne kleinen Steckenpferdchen, die er reitet und reiten muß, wenn sein Arbeit auf Dau-
er für die Schüler motivierend und für ihn selbst befriedigend bleiben soll. Von diesen
Steckenpferden soll nun hier gerade nicht die Rede sein. Sollte sich herausstellen, daß
die oben gestellte Frage, ob Mündlichkeit integrativ zum Lateinunterricht gehört, mit
nein zu beantworten ist, also die nach einem Steckenpferd ist, wäre sie aus den me-
diae res, d.h. aus der Didaktik des Lateinunterrichts, ausgeschieden.
Zu dem Komplex ,,Mündlichkeit" hier ein paar thesenartig formulierte, ganz unsyste-
matische Überlegungen, die vielleicht geeignet sind, die Diskussion in eine mehr pra-
xisorientierte Richtung zu lenken.
7. Der Latemunternchf darf auf Münd/7chke7t mcht ganz verz/chten.
Wenn es auf der einen Seite allgemein anerkannt ist, daß ,,sein Ziel nicht das Spre-
chen, sondern das Lesen und Verstehen lateinischer Texte'^ ist, dann muß man sich
auf der anderen Seite bewußt machen, daß Latein eine Schulsprache ist, mit der sich
50% der Gymnasiasten in der Bundesrepublik — die meisten für viele Jahre und viele
schon im kindlichen Alter^ — befassen. Eine Schulsprache kann nicht an den motori-
schen, imitativen, besonders aber den affektiven Bedürfnissen der Schüler Vorbeige-
hen. Mit Recht ist der Begriff ,,tote Sprache" von der Fachdidaktik zurückgewiesen
worden; aber der an die Stelle getretene Terminus,,Reflexionssprache" will ja, wenn
er schon die Assoziation ,,lebende Sprache" meiden muß, nicht das Leben ausschlie-
ßen. Und das Leben einer Sprache offenbart sich notwendJgerwe/se auch im Sprechen

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