und süßem Nichtstun beginnt für Odysseus etwas ganz Neues und für den Dichter et-
was, worauf es ihm nun besonders ankommt. Odysseus verläßt ja nicht nur Kalypso
und ihre Insel mit all ihren - ohne eigenes Zutun sich bietenden - Annehmlichkeiten;
nach Jahren untätigen Genießens ist Odysseus dieses Lebens überdrüssig, er verzichtet
auf alles, was ihm die Nymphe bisher geboten hat, ja auf alles, was sie ihm noch ver-
spricht - Unsterblichkeit und ewige Jugend - und entscheidet sich statt für die paradie-
sische Insel für die Heimat, statt für die schöne, ewig junge Göttin für die dem Altern
unterworfene Frau daheim, statt für Ruhe, Sicherheit und Genuß für Gefahren und
Kämpfe; er entscheidet sich für das Leben dessen, der er ist, statt für ein Leben als ein
Wesen mit geschenkten göttlichen Vorzügen, d.h. als ein Wesen, das er nicht ist; er
entscheidet sich zu seinem Selbst statt zu einem Nicht-Selbst. Er entscheidet sich, und
zu dem Zeitpunkt, da Hermes mit Zeus' Gebot zu Kalypso kommt, ist er längst schon
entschlossen. Hermes wird ja gerade darum geschickt, weil die Nymphe den Odys-
seus mit Zwang festhält (Od. 5, 13 - 15)5, und Odysseus hat mit Hermes auch gar kei-
nen Kontakt, denn er sitzt wie immer am Strand und weint vor Heimweh, während
Hermes mit der Nymphe spricht (5, 81 - 84. 149 - 158).
Erst mit dieser Entscheidung also beginnt Odysseus' Heimkehr; sie ist etwas ganz an-
deres, als es seine voraufgehenden - erst bei den Phäaken erzählten - Abenteuer wa-
ren. Daß das eigentliche Thema des Dichters hiermit beginnt, zeigt schon Od. 1, 13-
15: Odysseus sehnt sich nach Heimkehr und Frau, während ihn die mächtige Nymphe
Kalypso zurückhält. Der Wille zur Heimkehr und das Bewußtsein, auf der Heimfahrt
zu sein, waren bei Odysseus zwar nie ganz untergegangen - außer vielleicht für eine
Zeit bei Kalypso -, aber die einzelnen Abenteuer hatten ihr Eigengewicht, sie waren so
selbständig, daß sie keinesfalls nur als Stationen der Heimkehr verständlich und inter-
essant waren; allenfalls die Nekyia bildet hier zum Teil eine Ausnahme. Dagegen sind
die Stationen der Phäakis, des Aufenthalts bei Eumaios, des Aufenthalts als Bettler im
eigenen Haus, des Kampfs mit den Freiern nur als Teile der Heimkehr ganz verstehbar
und interessant. Mit der Trennung von Kalypso beginnt auch etwas Neues in der Dar-
stellung seelischen Erlebens; zwar nicht so, daß Odysseus sich in den Abenteuern sei-
ner selbst gar nicht bewußt wäre oder würde - besonders z.B. in der Polyphemge-
schichte -, aber von der Trennung von Kalypso an ist es vor allem das seelische Erleben
des Helden, das die Einzelepisoden zu einem Ganzen macht und ihnen ihren inneren
Zusammenhang gibt.
Im Zusammenhang der Phäakis hat schon W. Matthes das innere Erleben des Odys-
seus deutlich gemacht und dabei vom ,,Wiederentdecken seiner selbst" gesprochen.
,,Diese Erweckung des Odysseus ist nicht etwa nur ein Nebenprodukt... der Phäakis,
..., sondern diese Erweckung, dieses Erwachen des Odysseus ist der ganze und genaue
Sinn der Phäakis, das große Thema der Phäakis bzw. ihres Kerns, des Buches V"6. (Her-
vorhebung von W.M.)
Wenn dies so ist, dann liegt hier nicht nur der Schlüssel zur Lösung vieler Anstöße,
Schwierigkeiten und scheinbaren Widersprüchen innerhalb der Phäakis?, sondern die
Phäakis bekommt innerhalb der Gesamtdichtung die Bedeutung einer unverzichtba-
ren Vorstufe der Erlebensdarstellung des Odysseus in Ithaka, eines Schlüssels zum Ver-
ständnis seines nicht selten schwerverständlichen Handelns und Reagierens als Heim-
kehrer. Die Heimkehr des Odysseus ereignet sich dann - auch seelisch - nicht auf ein-
89
was, worauf es ihm nun besonders ankommt. Odysseus verläßt ja nicht nur Kalypso
und ihre Insel mit all ihren - ohne eigenes Zutun sich bietenden - Annehmlichkeiten;
nach Jahren untätigen Genießens ist Odysseus dieses Lebens überdrüssig, er verzichtet
auf alles, was ihm die Nymphe bisher geboten hat, ja auf alles, was sie ihm noch ver-
spricht - Unsterblichkeit und ewige Jugend - und entscheidet sich statt für die paradie-
sische Insel für die Heimat, statt für die schöne, ewig junge Göttin für die dem Altern
unterworfene Frau daheim, statt für Ruhe, Sicherheit und Genuß für Gefahren und
Kämpfe; er entscheidet sich für das Leben dessen, der er ist, statt für ein Leben als ein
Wesen mit geschenkten göttlichen Vorzügen, d.h. als ein Wesen, das er nicht ist; er
entscheidet sich zu seinem Selbst statt zu einem Nicht-Selbst. Er entscheidet sich, und
zu dem Zeitpunkt, da Hermes mit Zeus' Gebot zu Kalypso kommt, ist er längst schon
entschlossen. Hermes wird ja gerade darum geschickt, weil die Nymphe den Odys-
seus mit Zwang festhält (Od. 5, 13 - 15)5, und Odysseus hat mit Hermes auch gar kei-
nen Kontakt, denn er sitzt wie immer am Strand und weint vor Heimweh, während
Hermes mit der Nymphe spricht (5, 81 - 84. 149 - 158).
Erst mit dieser Entscheidung also beginnt Odysseus' Heimkehr; sie ist etwas ganz an-
deres, als es seine voraufgehenden - erst bei den Phäaken erzählten - Abenteuer wa-
ren. Daß das eigentliche Thema des Dichters hiermit beginnt, zeigt schon Od. 1, 13-
15: Odysseus sehnt sich nach Heimkehr und Frau, während ihn die mächtige Nymphe
Kalypso zurückhält. Der Wille zur Heimkehr und das Bewußtsein, auf der Heimfahrt
zu sein, waren bei Odysseus zwar nie ganz untergegangen - außer vielleicht für eine
Zeit bei Kalypso -, aber die einzelnen Abenteuer hatten ihr Eigengewicht, sie waren so
selbständig, daß sie keinesfalls nur als Stationen der Heimkehr verständlich und inter-
essant waren; allenfalls die Nekyia bildet hier zum Teil eine Ausnahme. Dagegen sind
die Stationen der Phäakis, des Aufenthalts bei Eumaios, des Aufenthalts als Bettler im
eigenen Haus, des Kampfs mit den Freiern nur als Teile der Heimkehr ganz verstehbar
und interessant. Mit der Trennung von Kalypso beginnt auch etwas Neues in der Dar-
stellung seelischen Erlebens; zwar nicht so, daß Odysseus sich in den Abenteuern sei-
ner selbst gar nicht bewußt wäre oder würde - besonders z.B. in der Polyphemge-
schichte -, aber von der Trennung von Kalypso an ist es vor allem das seelische Erleben
des Helden, das die Einzelepisoden zu einem Ganzen macht und ihnen ihren inneren
Zusammenhang gibt.
Im Zusammenhang der Phäakis hat schon W. Matthes das innere Erleben des Odys-
seus deutlich gemacht und dabei vom ,,Wiederentdecken seiner selbst" gesprochen.
,,Diese Erweckung des Odysseus ist nicht etwa nur ein Nebenprodukt... der Phäakis,
..., sondern diese Erweckung, dieses Erwachen des Odysseus ist der ganze und genaue
Sinn der Phäakis, das große Thema der Phäakis bzw. ihres Kerns, des Buches V"6. (Her-
vorhebung von W.M.)
Wenn dies so ist, dann liegt hier nicht nur der Schlüssel zur Lösung vieler Anstöße,
Schwierigkeiten und scheinbaren Widersprüchen innerhalb der Phäakis?, sondern die
Phäakis bekommt innerhalb der Gesamtdichtung die Bedeutung einer unverzichtba-
ren Vorstufe der Erlebensdarstellung des Odysseus in Ithaka, eines Schlüssels zum Ver-
ständnis seines nicht selten schwerverständlichen Handelns und Reagierens als Heim-
kehrer. Die Heimkehr des Odysseus ereignet sich dann - auch seelisch - nicht auf ein-
89