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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 29.1986

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Nr. 4
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Aufsätze
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Beil, Adolf: Die Heimkehr des Odysseus
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https://doi.org/10.11588/diglit.35877#0113

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reitung seiner Frau auf sein Erscheinen ais Odysseus und nicht als Bettler; doch diese
Verstellung als Bettler konnte er doch schon vor der Erzählung der halbwahren und
halberlogenen Geschichte beenden. Vielleicht Zeitgewinn? Doch gewann er ja keine
Zeit, wenn er seine Frau über sich nicht aufklärte; sie konnte ihm im Gegenteil doch
sogar eine kluge und zuverlässige Helferin sein, wenn er die Freier erschlagen und ver-
treiben wollte, sicher nicht viel weniger als sein Sohn Telemach, dem er sich längst zu
erkennen gab. Odysseus' Verhalten und sein Motiv bleiben auch hier rätselhaft.
Sie bleiben es auch weiterhin, besonders als während des Fußbads ihn seine alte Am-
me an seiner Narbe erkennt. Daß der Dichter mit dieser Szene eine besondere Absicht
verfolgt, kann kaum zweifelhaft sein, ist sie doch für den weiteren Handlungsablauf
ohne besonderen Belang. Zwar wird durch sie die seelische Situation des alten Bett-
lers, der Odysseus in Wirklichkeit gar nicht ist, eindrucksvoll dargestellt und darüber
hinaus ein beachtliches Element der Spannung für den Hörer bzw. den Leser einge-
führt; doch begründen diese Gesichtspunkte allein Einschub und Gestaltung der Sze-
ne nicht ganz.
Aus der höchst einfühsam geschilderten Scheu des gealterten Mannes vor dem Hohn
frecher junger Mägde ist sicher der Wunsch des ,,Bettlers" erklärbar, nur eine alte,
verständige und leidgeprüfte Frau dürfe ihm die Füße waschen (19, 343 - 348), wes-
halb Penelope dann der alten Eurykleia den Auftrag hierzu gibt. Die aber kennt ja den
verschollenen Herrn so genau wie keine andere Dienerin. Seine Erkennung droht also
von dem Augenblick an, da Odysseus seinen Wunsch äußert, und Odysseus hat diese
Erkennung also - ungewollt - verursacht. Schnell versucht er, sie zu verhindern und sei-
ne, des vermeintlichen Fremden, Ähnlichkeit mit Odysseus als ihm längst bekannt und
nicht besonderer Aufmerksamkeit wert hinzustellen (19, 382 - 385); besonders aber
beim Fußbad selbst, als ihm bewußt wird, daß ihn die Alte an seiner Beinnarbe unwei-
gerlich erkennen müsse (19, 388 - 391), sucht er diese Erkennung zu verhindern, in-
dem er die Narbe in den Schatten dreht. Der weitere Verlauf der Szene steigert dann
noch die Spannung; sie wird durch den Bericht von der Herkunft der Narbe nur retar-
diert. Die Erkennung durch Eurykleia und ihre heftige, geräuschvolle Reaktion bilden
den Höhepunkt des Geschehens. Daß der Dichter aber mehr als nur Spannung im
Sinn hat, zeigt sich schon daran deutlich, daß Penelope von der Erkennungsszene
nichts wahrnimmt, weil Athene, die göttliche Helferin des Odysseus, sie abgelenkt
hat. Odysseus so// hier also noch gar nicht von seiner Frau erkannt werden. Die Span-
nung, die der Hörer oder Leser Penelopes wegen haben konnte, löst sich ganz uner-
wartet und unerwartbar auf, sie verflüchtigt sich geradezu. Daß Odysseus also hier
und jetzt durch einen Hinweis der Magd von Penelope erkannt werde, ist somit nicht
im Sinne des Dichters, und auch Odysseus will sie daher nicht. Es zeigt dies seine Re-
aktion auf seine Erkennung durch Eurykleia. Sie ist in dieser Form ganz unerwartet, ja
scheinbar geradezu unverständlich.
In dem Augenblick, da Odysseus' Identität durch die Magd für Penelope klar werden
mußte, packt er die alte Amme an der Kehle, um jede Mitteilung zu unterbinden, und
fragt sie, ob sie ihn denn vernichten wolle (19, 479 - 482: 6\eoat ). Wer den Vers 486
hierzu in Beziehung setzt, könnte an die mögliche Preisgabe der Identität des Bettlers
an irgendwelche Diener und Dienennnen oder gar an die Freier denken; doch darum
geht es hier (482) nicht. Zu diesem Zweck bedurfte es nicht der sofortigen Verhinde-

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