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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 37.1994

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Nr. 1
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Berichte und Mitteilungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33059#0041

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„Lesen macht dumm." Fritz B Simon, Professor für Psychosomatik und Psychotherapie an der
Universität Heidelberg, empfahl in einem Aufsatz „d/e /Cunsf, n/'chf zu /emen", und antwortete in
einem Interview auf die Frage „Ist Ignoranz eine Tugend?" folgendes: „Sie kann durchaus eine Tu-
gend sein, wenn sie vor Verwirrung schützt. Es stellt sich immer wieder die Frage: Wieviel Wissen
brauche ich für meinen Alltag? Nicht alles Neue ist wert, wahrgenommen zu werden - auch nicht
jede Nachrichtensendung Je mehr ich versuche, am Puls der Zeit zu bleiben, desto mehr laufe ich
Gefahr, unkreativ und unoriginell zu werden. Früher hielt Wissen Jahrhunderte, heute oft nur noch
ein paar Wochen. Es ist deshalb schwer, sich auf jede Neuigkeit einzulassen. Jede neue Idee bringt
ein Stück Verwirrung, und es macht viel Arbeit, sie widerspruchsfrei in das einzubauen, was man
schon weiß. Ein Übermaß an Informationen nimmt die Kraft, eigene, originäre Ideen weiterzuver-
folgen. Lesen macht dumm, sagte der Wissenschaftssoziologe Robert Merton, und ich stimme ihm
zu. Aus den Biographien außergewöhnlicher Denker geht hervor, daß sie manchmal nur drei oder
vier Bücher im Jahr lasen und kaum in Zeitungen schauten. Die meisten Forscher im heutigen
Wissenschaftsbetrieb sind zu Beamten kreativer Arbeit geworden, weil sie nichts verpassen wollen
und sich so nur noch mit den Ideen anderer auseinandersetzen. Es bleibt ihnen keine Zeit, selbst
Denkansätze zu entwickeln." (F.A Z. Magazin Nr. 721, 23.12.93, $. 50)
Hundert Jahre THESAURUS LINGVAE LATINAE. In diesem Frühjahr sind es 100 Jahre, daß der
THESAURUS LINGVAE LATINAE seine Arbeit aufgenommen hat. Aus Anlaß dieses Jubiläums lädt die
Internationale Thesaurus-Kommission zu einer Festveranstaltung und einem internationalen
wissenschaftlichen Colloquium am 19. und 20. Juni 1994 nach München ein Thema des
Colloquiums: „Hundert Jahre Thesaurus linguae Latinae - Werden und Wirkung" - Auskünfte
und Anmeldung: Thesaurus linguae Latinae, Marstallplatz 8, D-80539 München, Tel 089 / 23 03 11
60, Fax. 089 / 23 03 11 00. Die Thesaurus-Kommission möchte dieses Jubiläum im großen Kreis
altertumswissenschaftlicher Kolleginnen und Kollegen feiern, und zwar nicht nur aus dem
Universitätsbereich, sondern auch aus der Schulpraxis. Alle Lehrerinnen und Lehrer der alten
Sprachen sind daher herzlich eingeladen.
Die „Orestie" in Moskau - ein Lehrstück der Demokratie? Wie angekündigt, fand am 29 Januar
1994 die Premiere der von Peter Stein inszenierten Trilogie des Aischylos im Moskauer
Armeetheater statt (vgl MDAV 4/93, S. 171) - ohne Zweifel ein in der europäischen
Theatergeschichte herausragendes Ereignis. Die Presse berichtete ausführlich darüber. Erwähnt sei
die Kritik von Kerstin Holm in der F.A.Z. vom 31.1.94, die jedoch die Sprache des russischen Textes
beanstandete, da er „mit seinen zahllosen Zeitungszitaten, lateinischen Fremdwörtern und
Sowjetismen vielfach grob und abgeschmackt klingt. Daß Peter Stein seinen Vorsatz nicht wahr
machte, für seine Moskauer Orestie Russisch zu lernen, war ein verhängnisvoller Fehler." Nach
ihrem Urteil erdrückten „die vordergründigen Gegenwartsbezüge ... das Drama des Aisychylos. [...]
Die russische Wirklichkeit ist offenbar so bewegt, daß sie sich, läßt man sie in eine
Theateraufführung ein, derer ganz bemächtigt."
Wenige Tage nach der Premiere, am 1 Februar, strahlte der Sender Freies Berlin ein
Fernsehinterview mit Peter Stein aus, in dem der international geschätzte Regisseur u.a. folgendes
sagte: „[.. ] ich kann ja kein Russisch. Dementsprechend kann ich nur ein Stück machen, das allein
schon dadurch, daß es aufgeführt wird, einen Effekt macht oder einen Sinn macht. Und das ist für
die Orestie der Fall gewesen Die Orestie ist in Rußland noch nie gezeigt worden, und da sie schon
2500 Jahre alt ist, habe ich gedacht, es wäre doch an der Zeit, daß in einem so wichtigen
Theaterland wie Rußland dieses wunderbare, das großartigste Stück, was jemals geschrieben

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