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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 37.1994

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Maier, Friedrich: Zukunft nicht ohne die Antike: Perspektiven des altsprachlichen Unterrichts : zur Eröffnung des DAV-Kongresses in Bamberg 1994
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https://doi.org/10.11588/diglit.33059#0050

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die Welt revolutionierten, wobei uns die Ambivalenz und damit die Fragwürdigkeit solch grundle-
gender Veränderungen erst heute allmählich bewußt werden. Gültiges aber zu erkennen und dar-
auf aufmerksam machen zu können, setzt die Kenntnis dessen voraus, worin, inwiefern und unter
welchen Umständen im aktuellen Erfahrungsfeld solche Geltung manifest wird; gleichermaßen
begreift man Entwicklungen erst dann, wenn sie von ihrem Ausgangspunkt bis zum vorläufigen
Endpunkt und weiter bedacht werden. Das heißt: Die Verwalter des antiken Erbes müssen, sofern
sie ihre Stoffe dem Bildungsprozeß zugänglich machen wollen, ihre Gegenwart kennen, sich auf
den Dialog mit der Zeit einlassen. Ihnen dürfen die Bedingungen der heutigen Menschen und die
Probleme, die sie bedrängen, nicht unbekannt oder gar gleichgültig bleiben. Nur wenn beide Pole
funktionieren, Antike und Gegenwart, ergibt sich die Spannung, die den angedeuteten pädago-
gisch fruchtbaren Prozeß in Gang hält.
Unsere Zeit ist europa- und weltweit von einer Reihe von Problemen beherrscht, deren Lösung
nicht allein im Politischen und Wirtschaftlichen liegt, vielmehr, wie man allseits zugibt, auch im
Intellektuellen und Moralischen Sie verlangen nach Wissenseinsatz und Wertentscheidungen, eben
nach der Verantwortlichkeit eines jeden einzelnen. Bildung soll die Menschen dazu instand setzen.
Die moderne Pädagogik hat diese Probleme „Schlüsselprobleme" genannt und zu ihrer, wenn auch
nur ansatzweise erfolgreichen Bewältigung „Schlüsselqualifikationen" gefordert, worauf sich in
letzter Zeit auch die großen politischen Parteien in ihren zukunftsorientierten Bildungskonzepten
verständigen konnten. Die Vertreter des altsprachlichen Unterrichts tun gut daran - nicht anders als
die Vertreter anderer Fächer - sich der mittlerweile in fast allen Lehrplänen als fachübergreifend
gekennzeichneten Aufgabe zu stellen, ihren genuinen Beitrag zur Auseinandersetzung mit diesen
Schlüsselproblemen zu bestimmen.
Die didaktische Maxime kann hier nur heißen: Partizipation, Teilhabe an der Problemdiskussion und
an der Frage, welche Voraussetzungen, welche Schlüsselqualifikationen sich von den einzelnen
Fächern her zum Umgang mit solch schwierigen Aufgaben schaffen lassen. Wir wissen ja - bei ge-
nauerem Hinsehen - : Die Probleme der Gegenwart bildeten sich bereits in der Antike aus, oft zwar
nur im Keime angelegt, doch zuweilen schon damals mit gesellschaftlicher Brisanz; und sie wurden
damals bereits in ihren Konsequenzen radikal auf den Menschen hin durchdacht, mit Lösungsan-
sätzen, die über die Zeiten wirkten. „Die geheimnisvolle, weltbewegende Macht des Wortes in der
menschlichen Geschichte", die z. B. Väclav Havel in der Frankfurter Paulskirche 1989 beschworen
hat, begann mit Demosthenes und Cicero, und sie ist nicht zu Ende, im Gegenteil in millionenfa-
cher Multiplikation den Menschen heute zunehmend beherrschend. Sophokles' „Hohes Lied" auf
die Geisteskraft des Menschen, auch im Technischen, die bald den guten, bald den schlechten Weg
geht, ist ein aufreizendes Dokument - Hans Jonas hat es gezeigt -, in dem der Mensch erstmals die
Verantwortlichkeit über die ihm anvertraute Erde formuliert, ebenso wie etwa 1500 Jahre später
der in seinem lateinischen Wortlaut wirkungsmächtige Sonnengesang des Hl. Franciscus, in dem
die „Mutter Erde" als Schöpfung in die Ehrfurcht vor dem Schöpfer, dem allerhöchsten Gott, einbe-
zogen erscheint. Der hippokratische Eid, heute noch Grundlage des Arzt-Gelöbnisses, im Mittelalter
Jahrhunderte lang in der lateinischen Fassung des Janus Cornarius geschworen, hat in seiner Mitte
als moralische Prinzipien die Ehrfurcht vor dem Leben und die Achtung vor der Würde des Men-
schen gesetzt, - Prinzipien, die allen Wissenschaftlern, wie man gesagt hat, von Jugend an in das
Gewissen gemeißelt werden sollten Kriege sodann, verursacht durch die Unverträglichkeit der
Menschen, aus politischen, rassischen oder weltanschaulichen Gründen, schreiben die unendliche
Geschichte der Menschheit; die Diskussion darüber setzte in der Antike ein. Cicero ließ nur den sog.
„gerechten Krieg" gelten, und in seiner Nachfolge lieferten Augustinus und Thomas von Aquin die
klassischen Texte der Kriegsbeurteilung. Schon für Seneca freilich war jeder Krieg Wahnsinn, erst

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